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Leo Sternberg
Im
Weltgesang . 1. Auflage 1916
Gemeinschaft
Wie wir uns gegenseitig zu dem gebildet haben, was wir sind -
ihr weinroten Weiden und grauen Uferfelsen, fortgesetzt in die Tiefe des Stroms!
Woher wüßte ich Rhythmus, Bewegung und elastisch überm Leben zu wandeln,
ohne eure Biegungen, ihr Ährentänzerinnen,
und euch, darüberhinsegelnde Schwalben?
Woher das Empfinden für Licht und Jenseitsahnungen,
wenn ich allabendlich nicht amaryllgrüne Klarheit schaute
und morgens die orangenen Teppiche des Tags!
Woher gewönne mein Körper die Harmonie, die ihm innewohnt,
daß er nicht ausgleitet auf Geröllpfaden, nicht schwindelt am Abgrund und in der Woge nicht versinkt,
ohne das Ebenmaß, im Anschaun der Weite ihm mitgeteilt von Anfang an!
Ja, wie würde ich auf den Füßen stehn
(und was würden meine Füße für einen Sinn haben!)
ohne dich, Ebne der Erde, der angepaßt sie geschaffen sind!
Und würde ich nicht zusammenbrechen in panischem Schrecken
- wie das Rehkitzchen bei des Wandrers Händeklatschen -
wenn der Baumstamm plötzlich zu reden anfinge
oder nur um Haaresbreite sich verschöbe gewohnte Natur!
Der wahren Sprache freilich seid ihr kund;
und des Menschen Zunge ist nur Radebrechen der Ohnmacht und oberflächliches Stammeln, das er nicht sagen will, über unfaßbare Tiefen hinweg.
Ihr Stummen allein habt euch die Sprache bewahrt:
Hochlandwipfel, die ihr vom Geiste rauscht;
ihr Düfte des Veilchens bekennt verzehrenden Überschwang;
und wer schöpfte die Lust in ein Wort, wie ihr Wasserstürze unter Regenbögen!
Wie hätte ich Kraft, zum Himmel hinaufzustreben,
ohne daß ihr mit mir hinaufstrebtet insgesamt:
Halme, Buchenhallen, Bergzackenmeer und Raubvogelpaare darüber;
wenn ihr nicht ausjauchztet in eurem Hochgesang,
was mir selber schlief im gemeinschaftseligen Herzen!
Leo
Sternberg . 1876 - 1937
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