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Leo Sternberg
Im
Weltgesang . 1. Auflage 1916
Schicksalsstunde
Im mondblauen Nebel bleicht die Nacht,
die Kessel der Geschicke brau'n.
Die Tränenbäume tropfen und taun ...
Was wird mir zugelost und zugedacht?
Die hohen Fenster stehn beraucht und blind,
wie Augen von Marmorbildern sind ...
Das Schicksal! O, was will dein steinern Schaun!
Wie schwärmen die Geister im mondlichen Rauch
mit weißen Schleiern feucht davon ...
O, tote Mutter, sähst du deinen Sohn!
Es schmölze über mir ein Regenbogenhauch.
Auch du kamst hoch herab von deinem Gletscherring.
Die Welt ist aufgelöst ... Das große Thing
der Wolken wogt, und Gott vermengt den Stoff zu neuem Ton.
Hast du nur Gutes, Herz, gepocht?
Schleier des Segens ausgeteilt?
Gebet, das in die Ferne heilt,
dem Chaos zugehaucht, das draußen kocht?
Ganz dich verstrahlen - war's dein Traum?
O, dann wird überströmen der dampfende Raum;
Geister, gesendet von Liebe, kommen auf Flügeln geeilt.
So wende dich auch auf den Bruder nicht,
du strenges Antlitz, augenlos!
Ich sehe Tropfen, trüb und groß,
enttränen deinen Augen, leer und ohne Licht.
Ich fühl's: es weint kein Mensch allein.
Solang ein Herz noch klagt, kann ich nicht glücklich sein;
Und wen du triffst - es ist mein Los.
Hervor, hervor denn aus dem Dampf!
Durchdringt die Ritzen, blinde Schar!
Es schlüpfe die Seele mit ein, die meiner Liebsten war,
oder die mir (statt dem Freunde) bringt den Kampf.
Penaten werdet! Schwankt im Haus,
hold oder hassend mit mir ein und aus!
Ich reiche blutgefüllt euch selbst die Schale dar.
Leo
Sternberg . 1876 - 1937
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