162 Bücher
|
Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte
. 1825
VI.
"Kannst du, o Grausamer! mich in solchen Worten betrüben?
Reden so bitter und hart liebende Männer bei euch?
Wenn das Volk mich verklagt, ich muß es dulden! und bin ich
Etwa nicht schuldig? Doch, ach! schuldig nur bin ich mit dir!
Diese Kleider, sie sind der neidischen Nachbarin Zeugen,
Daß die Wittwe nicht mehr einsam den Gatten beweint.
Bist du ohne Bedacht nicht oft bei Mondschein gekommen,
Grau, im dunkeln Sürtout, hinten gerundet das Haar?
Hast du dir scherzend nicht selbst die geistliche Maske gewählet?
Soll's ein Prälate denn seyn! gut, der Prälate bist du.
In dem geistlichen Rom, kaum scheint es zu glauben, doch schwör' ich:
Nie hat ein Geistlicher sich meiner Umarmung gefreut.
Arm war ich leider! und jung, und wohl bekannt den Verführern.
Falconieri hat mir oft in die Augen gegafft,
Und ein Kuppler Albani's mich mit gewichtigen Zetteln,
Bald nach Ostia, bald nach den vier Brunnen gelockt.
Aber wer nicht kam, war das Mädchen. So hab' ich von Herzen
Rothstrumpf immer gehaßt, und Violetstrumpf dazu.
Denn "ihr Mädchen bleibt am Ende doch die Betrog'nen,"
Sagte der Vater, wenn auch leichter die Mutter es nahm.
Und so bin ich denn auch am Ende betrogen! Du zürnest
Nur zum Scheine mit mir, weil du zu fliehen gedenkst.
Geh! ihr seyd der Frauen nicht werth! Wir tragen die Kinder
Unter dem Herzen, und so tragen die Treue wir auch;
Aber ihr Männer, ihr schüttet, mit eurer Kraft und Begierde,
Auch die Liebe zugleich in den Umarmungen aus!"
Also sprach die Geliebte, und nahm den Kleinen vom Stuhle,
Drückt' ihn küssend ans Herz, Thränen entquollen dem Blick.
Und wie saß ich beschämt, daß Reden feindlicher Menschen
Dieses liebliche Bild mir zu beflecken vermocht!
Dunkel brennt das Feuer nur augenblicklich und dampfet,
Wenn das Wasser die Gluth stürzend und gähling verhüllt.
Aber sie reinigt sich schnell, verjagt die trübenden Dämpfe,
Neuer und mächtiger dringt leuchtende Flamme hinauf.
Johann
Wolfgang von Goethe . 1749 - 1832
|
|