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Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte . 1825



XIII.

Amor bleibet ein Schalk, und wer ihm vertraut, ist betrogen!
Heuchelnd kam er zu mir: "Dieß Mahl nur traue mir noch.
Redlich mein' ich's mit dir, du hast dein Leben und Dichten,
Dankbar erkenn' ich es wohl, meiner Verehrung geweiht.
Siehe, dir bin ich nun gar nach Rom gefolget, ich möchte
Dir im fremden Gebiet gern was Gefälliges thun.
Jeder Reisende klagt, er finde schlechte Bewirthung;
Welchen Amor empfiehlt, köstlich bewirthet ist er.
Du betrachtest mit Staunen die Trümmern alter Gebäude,
Und durchwandelst mit Sinn diesen geheiligten Raum.
Du verehrtest noch mehr die werthen Reste des Bildens
Einziger Künstler, die stets ich in der Werkstatt besucht.
Die Gestalten, ich formte sie selbst! Verzeih mir, ich prahle
Dieß Mahl nicht; du gestehst, was ich dir sage, sey wahr.
Nun du mir lässiger dienst, wo sind die schönen Gestalten,
Wo die Farben, der Glanz deiner Empfindungen hin?
Denkst du nun wieder zu bilden, o Freund? Die Schule der Griechen
Blieb noch offen, das Thor schlossen die Jahre nicht zu.
Ich, der Lehrer, bin ewig jung, und liebe die Jungen.
Altklug lieb' ich dich nicht! Munter! Begreife mich wohl!
War das Antike doch neu, da jene Glücklichen lebten!
Lebe glücklich, und so lebe die Vorzeit in dir.
Stoff zum Liede, wo nimmst du ihn her? Ich muß dir ihn geben,
Und den höheren Styl lehret die Liebe dich nur."
Also sprach der Sophist. Wer widerspräch' ihm? und leider
Bin ich zu folgen gewöhnt, wenn der Gebieter befiehlt.
Nun, verrätherisch hält er sein Wort, gibt Stoff zu Gesängen,
Ach! und raubt mir die Zeit, Kraft und Besinnung zugleich;
Blick und Händedruck und Küsse, gemüthliche Worte,
Sylben köstlichen Sinns wechselt ein liebendes Paar.
Da wird Lispeln Geschwätz, wird Stottern liebliche Rede:
Solch ein Hymnus verhallt ohne prosodisches Maß.
Dich, Aurora, wie kannt' ich dich sonst als Freundin der Musen!
Hat, Aurora, dich auch Amor, der Lose, verführt?
Du erscheinest mir nun als seine Freundin, und weckest
Mich an seinem Altar wieder zum festlichen Tag.
Find' ich die Fülle der Locken an meinem Busen! das Köpfchen
Ruhet und drucket den Arm, der sich dem Halse bequemt.
Welch ein freudig Erwachen, erhieltet ihr ruhige Stunden,
Mir das Denkmal der Lust, die in den Schlaf uns gewiegt!
Sie bewegt sich im Schlummer, und sinkt auf die Breite des Lagers
Weggewendet; und doch läßt sie mir Hand noch in Hand.
Herzliche Liebe verbindet uns stets und treues Verlangen,
Und den Wechsel behielt nur die Begierde sich vor.
Einen Druck der Hand, ich sehe die himmlischen Augen
Wieder offen. - O nein! laßt auf der Bildung mich ruhn!
Bleibt geschlossen! Ihr macht mich verwirrt und trunken, ihr raubet
Mir den stillen Genuß reiner Betrachtung zu früh.
Diese Formen, wie groß! wie edel gewendet die Glieder!
Schlief Ariadne so schön; Theseus, du konntest entfliehn?
Diesen Lippen ein einziger Kuß! O Theseus, nun scheide!
Blick' ihr ins Auge! Sie wacht! - Ewig nun hält sie dich fest.


  Johann Wolfgang von Goethe . 1749 - 1832






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