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Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte
. 1825
Der Gott und die Bajadere
Indische Legende.
Mahadöh, der Herr der
Erde,
Kommt herab zum sechsten Mahl,
Daß er unsers gleichen
werde,
Mit zu fühlen Freud' und
Qual.
Er bequemt sich hier zu wohnen,
Läßt sich alles
selbst geschehn.
Soll er strafen oder schonen,
Muß er Menschen
menschlich sehn.
Und hat er die Stadt sich als Wand'rer betrachtet,
Die Großen belauert, auf Kleine geachtet,
Verläßt er sie Abends, um weiter zu gehn.
Als er nun hinaus gegangen,
Wo die letzten Häuser
sind,
Sieht er, mit gemahlten Wangen,
Ein verlornes schönes
Kind.
Grüß dich Jungfrau!
- Dank der Ehre!
Wart', ich komme gleich hinaus
-
Und wer bist du? - Bajadere,
Und dieß ist der Liebe
Haus.
Sie rührt sich, die Zimbeln zum Tanze zu schlagen;
Sie weiß sich so lieblich im Kreise zu tragen,
Sie neigt sich und biegt sich, und reicht ihm den Strauß.
Schmeichelnd zieht sie ihn zur
Schwelle,
Lebhaft ihn ins Haus hinein.
Schöner Fremdling,
lampenhelle
Soll sogleich die Hütte
seyn.
Bist du müd', ich will
dich laben,
Lindern deiner Füße
Schmerz.
Was du willst, das sollst du
haben,
Ruhe, Freuden oder Scherz.
Sie lindert geschäftig geheuchelte Leiden.
Der Göttliche lächelt; er siehet mit Freuden,
Durch tiefes Verderben, ein menschliches Herz.
Und er fordert Sclaven -
Dienste;
Immer heitrer wird sie nur,
Und des Mädchens
frühe Künste
Werden nach und nach Natur.
Und so stellet auf die
Blüthe
Bald und bald die Frucht sich
ein;
Ist Gehorsam im Gemüthe,
Wird nicht fern die Liebe seyn.
Aber, sie schärfer und schärfer zu prüfen,
Wählet der Kenner der Höhen und Tiefen
Lust und Entsetzen und grimmige Pein.
Und er küßt die
bunten Wangen
Und sie fühlt der Liebe
Qual,
Und das Mädchen steht
gefangen,
Und sie weint zum ersten Mahl;
Sinkt zu seinen
Füßen nieder,
Nicht um Wollust noch Gewinnst,
Ach! und die gelenken Glieder,
Sie versagen allen Dienst.
Und so zu des Lagers vergnüglicher Feier
Bereiten den dunklen, behaglichen Schleier
Die nächtlichen Stunden das schöne Gespinnst.
Spät entschlummert, unter
Scherzen,
Früh erwacht, nach kurzer
Rast,
Findet sie, an ihrem Herzen,
Todt den vielgeliebten Gast.
Schreiend stürzt sie auf
ihn nieder;
Aber nicht erweckt sie ihn,
Und man trägt die starren
Glieder
Bald zur Flammengrube hin.
Sie höret die Priester, die Todtengesänge,
Sie raset und rennet, und theilet die Menge.
Wer bist du? was drängt zu der Grube dich hin?
Bei der Bahre stürzt sie
nieder,
Ihr Geschrei durchdringt die
Luft:
Meinen Gatten will ich wieder!
Und ich such' ihn in der Gruft.
Soll zu Asche mir zerfallen
Dieser Glieder
Götterpracht?
Mein! er war es, mein vor
allen!
Ach, nur Eine süße
Nacht!
Es singen die Priester: wir tragen die Alten,
Nach langem Ermatten und spätem Erkalten,
Wir tragen die Jugend, noch eh' sie's gedacht.
Höre deiner Priester
Lehre:
Dieser war dein Gatte nicht.
Lebst du doch als Bajadere,
Und so hast du keine Pflicht.
Nur dem Körper folgt der
Schatten
In das stille Todtenreich;
Nur die Gattin folgt dem
Gatten:
Das ist Pflicht und Ruhm
zugleich.
Ertöne, Drommete, zu heiliger Klage!
O, nehmet, ihr Götter! die Zierde der Tage,
O, nehmet den Jüngling in Flammen zu euch.
So das Chor, das ohn' Erbarmen
Mehret ihres Herzens Noth;
Und mit ausgestreckten Armen
Springt sie in den heißen
Tod.
Doch der
Götterjüngling hebet
Aus der Flamme sich empor,
Und in seinen Armen schwebet
Die Geliebte mit hervor.
Es freut sich die Gottheit der reuigen Sünder;
Unsterbliche heben verlorene Kinder
Mit feurigen Armen zum Himmel empor.
Johann
Wolfgang von Goethe . 1749 - 1832
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