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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gedichte
162 Bücher



Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte . 1825



Der Müllerin Reue

Jüngling.

Nur fort, du braune Hexe, fort!
Aus meinem gereinigten Hause,
Daß ich dich, nach dem ernsten Wort,
Nicht zause!
Was singst du hier für Heuchelei
Von Lieb' und stiller Mädchentreu'?
Wer mag das Mährchen hören!


Zigeunerin.

Ich singe von des Mädchens Reu',
Und langem, heißem Sehnen;
Denn Leichtsinn wandelte sich in Treu'
Und Thränen.
Sie fürchtet der Mutter Drohen nicht mehr,
Sie fürchtet des Bruders Faust nicht so sehr,
Als den Haß des herzlich Geliebten.


Jüngling.

Von Eigennutz sing' und von Verrath,
Von Mord und diebischem Rauben;
Man wird dir jede falsche That
Wohl glauben.
Wenn sie Beute vertheilt, Gewand und Gut,
Schlimmer als je ihr Zigeuner thut,
Das sind gewohnte Geschichten.


Zigeunerin.

"Ach weh! ach weh! Was hab' ich gethan!
Was hilft mir nun das Lauschen!
Ich hör' an meine Kammer heran
Ihn rauschen.
Da klopfte mir hoch das Herz, ich dacht';
O, hättest du doch die Liebesnacht
Der Mutter nicht verrathen!"


Jüngling.

Ach, leider! trat ich auch einst hinein,
Und ging verführt im Stillen:
Ach Süßchen! laß mich zu dir ein
Mit Willen.
Doch gleich entstand ein Lärm und Geschrei;
Es rannten die tollen Verwandten herbei.
Noch siedet das Blut mir im Leibe.


Zigeunerin.

"Kommt nun dieselbige Stunde zurück,
Wie still mich's kränket und schmerzet!
Ich habe das nahe, das einzige Glück
Verscherzet.
Ich armes Mädchen, ich war zu jung!
Es war mein Bruder verrucht genung,
So schlecht an dem Liebsten zu handeln."


Der Dichter

So ging das schwarze Weib in das Haus,
In den Hof zur springenden Quelle;
Sie wusch sich heftig die Augen aus,
Und helle
Ward Aug' und Gesicht, und weiß und klar
Stellt sich die schöne Müllerin dar
Dem erstaunt-erzürnten Knaben.


Müllerin.

Ich fürchte fürwahr dein erzürnt Gesicht,
Du Süßer, Schöner und Trauter!
Und Schläg' und Messerstiche nicht;
Nur lauter
Sag' ich von Schmerz und Liebe dir,
Und will zu deinen Füßen hier
Nun leben oder auch sterben.


Jüngling.

O Neigung, sage, wie hast du so tief
Im Herzen dich verstecket?
Wer hat dich, die verborgen schlief,
Gewecket?
Ach Liebe, du wohl unsterblich bist!
Nicht kann Verrath und hämische List
Dein göttlich Leben tödten.


Müllerin.

Liebst du mich noch so hoch und sehr,
Wie du mir sonst geschworen,
So ist uns Beiden auch nichts mehr
Verloren.
Nimm hin das vielgeliebte Weib!
Den jungen unberührten Leib,
Es ist nun alles dein eigen!


Beide.

Nun, Sonne, gehe hinab und hinauf,
Ihr Sterne, leuchtet und dunkelt!
Es geht ein Liebesgestirn mir auf,
Und funkelt.
So lange die Quelle springt und rinnt,
So lange bleiben wir gleichgesinnt,
Eins an des Andern Herzen.


  Johann Wolfgang von Goethe . 1749 - 1832






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