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Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte . 1825



Johanna Sebus

Zum Andenken der siebzehnjährigen Schönen, Guten, aus dem Dorfe Brienen, die am 13. Januar 1809 bei dem Eisgange des Rheines und dem großen Bruche des Dammes von Cleverham, Hülfe reichend, unterging.

        Der Damm zerreißt, das Feld erbraus't,
        Die Fluthen spielen, die Fläche saus't.

"Ich trage dich, Mutter, durch die Fluth,
Noch reicht sie nicht hoch, ich wate gut."
"Auch uns bedenke, bedrängt wie wir sind,
Die Hausgenossin, drei arme Kind!
Die schwache Frau!... Du gehst davon?"-
Sie trägt die Mutter durch's Wasser schon.
"Zum Bühle da rettet euch! harret derweil,
Gleich kehr' ich zurück, uns allen ist Heil.
Zum Bühl ist's noch trocken und wenige Schritt;
Doch nehmt auch mir meine Ziege mit!"

        Der Damm zerschmilzt, das Feld erbraus't,
        Die Fluthen wühlen, die Fläche saus't.

Sie setzt die Mutter auf sichres Land,
Schön Suschen, gleich wieder zur Fluth gewandt.
"Wohin? Wohin? Die Breite schwoll,
Des Wassers ist hüben und drüben voll.
Verwegen ins Tiefe willst du hinein?"
"Sie sollen und müssen gerettet seyn!"

        Der Damm verschwindet, die Welle braus't,
        Eine Meereswoge, sie schwankt und saus't.

Schön Suschen schreitet gewohnten Steg,
Umströmt auch gleitet sie nicht vom Weg,
Erreicht den Bühl und die Nachbarin;
Doch der und den Kindern kein Gewinn!

        Der Damm verschwand, ein Meer erbraus'ts,
        Den kleinen Hügel im Kreis umsaus'ts.

Da gähnet und wirbelt der schäumende Schlund,
Und ziehet die Frau mit den Kindern zu Grund;
Das Horn der Ziege faßt das Ein',
So sollten sie alle verloren seyn!
Schön Suschen steht noch strack und gut:
Wer rettet das junge, das edelste Blut!
Schön Suschen steht noch wie ein Stern;
Doch alle Werber sind alle fern.
Rings um sie her ist Wasserbahn,
Kein Schifflein schwimmet zu ihr heran.
Noch einmal blickt sie zum Himmel hinauf,
Da nehmen die schmeichelnden Fluthen sie auf!

        Kein Damm, kein Feld! Nur hier und dort
        Bezeichnet ein Baum, ein Thurm den Ort.

Bedeckt ist alles mit Wasserschwall;
Doch Suschens Bild schwebt überall. -
Das Wesser sinkt, das Land erscheint,
Und überall wird schön Suschen beweint. -
Und dem sey, wer's nicht singt und sagt,
Im Leben und Tod nicht nachgefragt!


  Johann Wolfgang von Goethe . 1749 - 1832






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