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Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte . 1825



Magisches Netz

Zum ersten May 1803.

Sind es Kämpfe, die ich sehe?
Sind es Spiele? Sind es Wunder?
Fünf der allerliebsten Knaben,
Gegen fünf Geschwister streitend,
Regelmäßig, taktbeständig,
Einer Zaub'rin zu Gebote.

Blanke Spieße führen jene,
Diese flechten schnelle Fäden,
Daß man glaubt, in ihren Schlingen
Werde sich das Eisen fangen.
Bald gefangen sind die Spieße;
Doch im leichten Kriegestanze
Stiehlt sich einer nach dem andern
Aus der zarten Schleifenreihe,
Die sogleich den Freien haschet,
Wenn sie den Gebundnen löset.

So mit Ringen, Streiten, Siegen,
Wechselflucht und Wiederkehren
Wird ein künstlich Netz geflochten,
Himmelsflocken gleich an Weiße,
Die, vom Lichten in das Dichte,
Musterhafte Streifen ziehen,
Wie es Farben kaum vermöchten.

Wer empfängt nun der Gewänder
Allerwünschtes? Wen begünstigt
Unsre vielgeliebte Herrin,
Als den anerkannten Diener?
Mich beglückt des holden Looses
Treu und still ersehntes Zeichen;
Und ich fühle mich umschlungen,
Ihrer Dienerschaft gewidmet.
Doch indem ich so behaglich
Aufgeschmückt, stolzirend wandle,
Sieh! da knüpfen jene Losen,
Ohne Streit, geheim geschäftig,
Andre Netze, fein und feiner,
Dämm'rungsfäden, Mondenblicke,
Nachtviolen-Duft verwebend.

Eh' wir nur das Netz bemerken,
Ist ein Glücklicher gefangen;
Den wir andern, den wir alle,
Segnend und beneidend, grüßen.


  Johann Wolfgang von Goethe . 1749 - 1832






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