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Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte
. 1825
Winter
84.
Wasser ist Körper und Boden der Fluß. Das neuste Theater
Thut, in der Sonne Glanz, zwischen den Ufern sich auf.
85.
Wahrlich, es scheint nur ein Traum! Bedeutende Bilder des Lebens
Schweben, lieblich und ernst, über die Fläche dahin.
86.
Eingefroren sahen wir so Jahrhunderte starren,
Menschengefühl und Vernunft schlich nur verborgen am Grund.
87.
Nur die Fläche bestimmt die kreisenden Bahnen des Lebens;
Ist sie glatt, so vergißt Jeder die nahe Gefahr.
88.
Alle streben und eilen und suchen und fliehen einander;
Aber Alle beschränkt freundlich die glättere Bahn.
89.
Durch einander gleiten sie her, die Schüler und Meister
Und das gewöhnliche Volk, das in der Mitte sich hält.
90.
Jeder zeigt hier, was er vermag; nicht Lob und nicht Tadel
Hielte Diesen zurück, förderte Jenen zum Ziel.
91.
Euch Präconen des Pfuschers, des Meisters Verkleinerer, wünscht' ich,
Mit ohnmächtiger Wuth, stumm hier am Ufer zu sehn.
92.
Lehrling, du schwankest und zauderst, und scheuest die glättere Fläche.
Nur gelassen! du wirst einst noch die Freude der Bahn.
93.
Willst du schon zierlich erscheinen? und bist nicht sicher. Vergebens!
Nur aus vollendeter Kraft blicket die Anmuth hervor.
94.
Fallen ist der Sterblichen Loos. So fällt hier der Schüler,
Wie der Meister; doch stürzt dieser gefährlicher hin.
95.
Stürzt der rüstigste Läufer der Bahn, so lacht man am Ufer,
Wie man bei Bier und Tabak über Besiegte sich hebt.
96.
Gleite fröhlich dahin, gib Rath dem werdenden Schüler,
Freue des Meisters dich, und so genieße des Tags.
97.
Siehe, schon nahet der Frühling; das strömende Wasser verzehret
Unten, der sanftere Blick oben der Sonne, das Eis.
98.
Dieses Geschlecht ist hinweg, zerstreut die bunte Gesellschaft;
Schiffern und Fischern gehört wieder die wallende Fluth.
99.
Schwimme, du mächtige Scholle, nur hin! und kommst du als Scholle
Nicht hinunter, du kommst doch wohl als Tropfen ins Meer.
Johann
Wolfgang von Goethe . 1749 - 1832
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