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Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte
. 1825
XX.
Zieret Stärke den Mann, und freies, muthiges Wesen,
O! so ziemet ihm fast tiefes Geheimniß noch mehr.
Städtebezwingerin, du Verschwiegenheit! Fürstin der Völker!
Theure Göttin, die mich sicher durch's Leben geführt,
Welches Schicksal erfahr' ich! Es löset scherzend die Muse,
Amor löset, der Schalk! mir den verschlossenen Mund.
Ach, schon wird es so schwer, der Könige Schande verbergen!
Weder die Krone bedeckt, weder ein Phrygischer Bund
Midas verlängertes Ohr; der nächste Diener entdeckt es,
Und ihm ängstet und drückt gleich das Geheimniß die Brust.
In die Erde vergrüb' er es gern, um sich zu erleichtern.
Doch die Erde verwahrt solche Geheimnisse nicht;
Rohre sprießen hervor, und rauschen und lispeln im Winde;
Midas! Midas, der Fürst, trägt ein verlängertes Ohr!
Schwerer wird es nun mir, ein schönes Geheimniß zu wahren;
Ach, den Lippen entquillt Fülle des Herzens so leicht!
Keiner Freundin darf ich's vertraun: sie möchte mich schelten;
Keinem Freunde: vielleicht brächte der Freund mir Gefahr.
Mein Entzücken dem Hain, dem schallenden Felsen zu sagen,
Bin ich endlich nicht jung, bin ich nicht einsam genug.
Dir, Herameter, dir, Pentameter, sey es vertrauet,
Wie sie des Tags mich erfreut, wie sie des Nachts mich beglückt.
Sie, von vielen Männern gesucht, vermeidet die Schlingen,
Die ihr der Kühnere frech, heimlich der Listige legt;
Klug und zierlich schlüpft sie vorbei, und kennet die Wege,
Wo sie der Liebste gewiß lauschend begierig empfängt.
Zaudre, Luna, sie kommt! damit sie der Nachbar nicht sehe;
Rausche Lüftchen, im Laub! Niemand vernehme den Tritt.
Und ihr, wachset und blüht, geliebte Lieder, und wieget
Euch im leisesten Hauch lauer und liebender Luft,
Und entdeckt den Quiriten, wie jene Rohre geschwätzig,
Eines glücklichen Paars schönes Geheimniß zuletzt.
Johann
Wolfgang von Goethe . 1749 - 1832
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