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Anton Wildgans
Buch
der Gedichte . 1. Auflage 1929
Gerichtsverhandlung
Aus dem Mist, den er durchsuchen mußte
Nach Abfällen von Kupfer und Zinn
In der Fabrik tagein, tagaus,
Trug er drei Kilo Metall nach Haus,
Und nun stellten sie dieses grindig-verrußte
Fetzengerüst vor die Richter hin.
Der Zuhörerraum ist leer.
Niemand schert sich um diesen Fall.
Nur von der letzten der Bänke her
Wagt sich manchmal
Ein Räuspern, das mehr
Ein Schluchzen ist, in den Saal.
Der Angeklagte sagt auf alles ja.
Der Verteidiger spricht von zwingender Not:
Sein Weib ging ihm durch nach Amerika
Und ließ ihm die Kinder, die schrieen nach Brot,
Da packte ihn die Verzweiflung wie Wut,
Und er griff an fremdes Gut...
Der Angeklagte sitzt und stiert,
Als ging' ihn das alles nichts mehr an.
In der letzten Bank der alte Mann,
Den auf der Brust die Medaille ziert,
Sperrt die Augen auf, was er kann.
Der Präsident scheint die pure Geduld
Zu sein, doch er denkt: Wohin kämen wir?
Der Staatsanwalt zeichnet irgendein Tier
In den Löschblock auf seinem Pult.
Der eine Votant wirft einen Blick
Nach der Uhr; dann zieht sich der Senat zurück.
Nach fünf Minuten ein Glockensignal.
Der Gerichtshof erscheint wieder im Saal.
Stille. Alles steht:
"Urteil im Namen Seiner Majestät..."
Der Greis in der letzten Bank vom Saal
Steht Habt-acht. Dann mit einem Mal
Wird er blasser, sein Blick verlischt,
Mit dem Handrücken wischt
Er sich was aus den Augen heraus -
Die Verhandlung ist aus.
Anton
Wildgans . 1881 - 1932
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