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Anton Wildgans
Buch
der Gedichte . 1. Auflage 1929
Häftlinge
Vom langen Gange im Landesgericht
Sieht man hinaus auf den Sträflingstrakt.
Dort drückt sich manches blasse Gesicht
Auf Schultern, in graues Zeug gesackt,
An die Fensterstäbe und blinzelt ins Licht.
Und unten im Hofe, Paar für Paar,
Um das Viereck von Sträuchern und tristem Grün,
Wandert, wie Tiere im Kreis, eine Schar,
Und hinter der Augen verlorenem Glühn
Wandert mit ihnen, was draußen war.
Die beiden Soldaten, die Posten stehn,
Wachen nur, daß keiner der Reihe entbricht,
Aber die Bilder, die mit ihnen gehn,
Immer im Kreise, die sehen sie nicht,
Die beiden Soldaten, die Wache stehn.
Und war's auch nur Elend, was jeder verließ,
Jetzt ahnen sie erst, wie viel es war,
Dies Elend, das immer noch Freiheit hieß
Und ihnen abfiel so fremd wie das Haar
Vom Kopf, den man jedem scheren ließ.
Und ist ihrer keiner so sehr verrucht,
Daß nicht irgendwer seine Unschuld beschwört
Und für ihn betet und für ihn flucht
Auf Gott, der nur die Reichen erhört
Und die Armen preisgibt und sie versucht.
Und jeder von ihnen war einmal gut
Und hatte was lieb und hatte Scham,
Bis plötzlich ein Fremdes wie jähe Flut
Ihn überschwemmte und mit sich nahm:
Für diesen war's Gold und für jenen war's Blut.
Nun gehn sie im Hofe Paar für Paar
Um das Viereck von Sträuchern und tristem Grün,
Immer im Kreis eine brütende Schar,
Und hinter der Augen verlorenem Glühn
Wandert mit ihnen, was draußen war...
Anton
Wildgans . 1881 - 1932
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