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Anton Wildgans
Buch der Gedichte . 1. Auflage 1929



Herbstfrühling

Ist das nicht wundersam, daß mich der purpurblonden
Herbstfarben Glut so an dein Haar gemahnt,
Daß meine Seele nach versehnten Monden
In letzter Stunde noch Erfüllung ahnt?
Daß sie den Frühling der Kastanienzweige,
Die ihre Leuchter wieder angezündet,
Wie ihren eignen zweiten Lenz empfindet
Und hoch den Becher hält trotz seiner Neige?

Drum will ich nochmals meine Wände schmücken
Und meine Schwelle wie im Frühling kränzen,
Die Vasen, Rahmen und die Bücherrücken
Vom Staub erlösen, daß sie wieder glänzen,
Und will die Laden alle sorgsam schließen,
Daß nicht ein Duften nach Vergangenheit
Die Stunde stört, die mir dein Kommen weiht
Auf angebeteten und leisen Füßen.
Und aus den dunklen Ecken will ich locken
Die Seufzer alle, die sich dort verfangen:
Die Flügel auf! Der Abend naht mit Glocken,
Wie sie mir feierlicher niemals sangen!
Da weichen sie, der Einsamkeit Gespenster,
Und auf den Tisch, weißschimmernd überhangen,
Stell' ich dir Becher, die noch niemals klangen,
Und eine rote Rose auf das Fenster.
Dann will ich warten, bis die letzte Farbe
In Schatten stirbt, in laut- und grenzenlose,
Dann glüht mein Wein, dann duftet meine Rose,
Dann muß das Wunder kommen, des ich darbe ...

Die Nacht verging, und erst beim Morgengrauen
Schloß ich das Fenster. Grimme Schauer fielen.
Von Gras und Blatt sah ich's mit eisigblauen
Frostaugen höhnisch nach mir schielen.
Die Rose hing geknickt in ihrer Vase,
Krank war des Weines Duft im Glase,
Und dünner Staub lag wieder auf den Dielen.
Und überall begann aus grauen Ecken
Der Alltag fahle Hände herzustrecken,
In allen Winkeln sah ich tote Träume hocken,
Wie Eulen stierend aus beraubten Nestern,
Denn solche Nacht, ankündend sich mit Glocken,
Nutzlos durchlauscht, macht mehr denn Heut aus Gestern!

Und einmal war's mir doch, als würden Schritte
An meiner Tür unschlüssig sich besinnen:
Zwei Atemzüge - und die leisen Tritte,
Wie sie gekommen, klangen sie von hinnen.

Im Abendneigen
Im Abendneigen bin ich ganz allein.
Die Dämmerung mit bleichen Geisterhänden
Streift leise an den lichtvergessnen Wänden,
Verwischt des Tages allerletzten Schein.
Ich tret' ans Fenster.

Da grauen Dächer neben Dächern weit
Und decken Angst und banges Menschenleid.
Und Schlote ragen in den Himmel mastengleich,
Entfaltend ihrer Qualme schwarze Fahnen -
Hinab mit euch! Des Abends heilig Reich
Erfüllt die Welt schon mit Erlösungsahnen.

Da ziehen Tausende aus Ruß und Rauch
Heimwärts, wo jeder sein Glück und sein Elend hat,
Und eines Seufzers qualentbundener Hauch
Bebt durch die ganze Stadt,
Bebt und tastet zum Himmel empor,
Tastet und zieht den schimmernden Flor
Kühler Wolken über glühende Stirnen,
Und da entschlummern sacht
Alle die Müden in den Frieden
Der Nacht.

Aber Einer, der läßt sein Hämmern nicht
Und stört mir den Frieden mit höhnischer Lust!
Willst du nicht rasten in meiner Brust,
Du grausamer Hämmerer, eh' sie bricht?
Kannst du nicht endlich, endlich schweigen,
Wenn sich die schwarzen Banner neigen,
Und du in anderen Menschen schon ruhst?

Der Dämmerung Silberleib zerfließt in Nacht,
Sie winkt mir scheidend mit der bleichen Hand.
Ein Augenpaar, zu milder Glut entfacht,
Senkt sich in meins mit wehmütigem Brand
Und schenkt mir heißer Tränen süße Pein.
Zwei Hände rühren sanft an mein Gesicht,
Und eine liebe Stimme spricht
Im Abendneigen: Bist du denn allein?


  Anton Wildgans . 1881 - 1932






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