162 Bücher
|
Anton Wildgans
Buch
der Gedichte . 1. Auflage 1929
Vision
Fragment
1.
Das Weib trat in des Mannes Traum und sprach:
Nun mußt du mein sein, erlöse mich!
Denn diese Wunden bluten, ach, und all die Schmach
An diesem Leibe kam durch dich.
Sieh dieser Schwären Gift, das meine Brüste
Für deiner Kinder welke Lippen verseuchte,
Sieh, diese Augen, denen dein Gelüste
Den himmlischen Widerschein entscheuchte!
Und waren sie nicht wie Brunnen tief,
Auf deren Gründen das Wunder schlief
In kindlicher Tränen heiliger Feuchte?
Oder war ich nicht rein, da ich einst dir begegnet,
Wie reifender Früchte heimliches Fleisch,
Das, in der Schale geborgen und keusch,
Mit Süße die starke Sonne gesegnet?
Gebar ich dir nicht Söhne, hold und stark?
Starb je die Flamme an deinem Herd?
Und wenn du vom Siege heimgekehrt,
Erneute mein Kuß dir nicht Blut und Mark?
Das war, da noch die Tat dich gereizt
Und trägen Blutes schwälende Glut
Noch nicht dein dumpfes Gehirn überheizt
Und Träume braute, Schlaftrunke dem Mut.
Das war, da du noch jäh und wild
Den Versucher an deinem Weibe erschlugst,
Nicht deine Schande mit Lächeln trugst
Und dich auf den Weisen hinausgespielt!
Und dann, als deiner entnervten Hand
Das Spielzeug, die Puppe sich entwand
Und knechtete, den seine Gierde geknechtet,
Wie hast du Tor da geschmäht und gerechtet,
Weil sie verlachte, was feig und entmannt!
Und Weib ward dir Sünde und Liebe Schuld
Und Tugend Verzichten und Mut Geduld.
Zwar hub Er vom Boden nicht den Stein
Gegen des Hauptmanns verirrtes Weib,
Aber wo blieb mir Sein brünstiger Leib,
Sein Leib aus zuckendem Elfenbein!?
Habe ich nicht mit Tränen mein
Seine Füße gewaschen, wund und bar,
Und sie getrocknet mit meinem Haar,
Mit meinem weichen, duftenden Haar!?
Und Er, nur um nicht mein zu sein,
Wie trug Er die Dornen mit grausamem Stolz
Auf Seinem blutüberrieselten Haupt
Und gab dem fühllosen Schächerholz,
Als sie Ihm schon den Mantel geraubt,
Nur um nicht mein zu sein,
Seine zuckenden Glieder aus Elfenbein,
Und ich, ich hatte gebüßt und geglaubt! -
Und in des Mannes Traum das Weib gebot und sprach:
Nun mußt du mein sein, erlöse mich!
Denn meine Wunden bluten, ach, von all der Schmach,
So mir durch dich geschah:
Das Weib ward nicht erlöst auf Golgatha!
2.
Und da erwachte der Mann und ging
Und suchte das Weib...
Anton
Wildgans . 1881 - 1932
|
|