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Anton Wildgans
Dreißig
Gedichte . 1. Auflage 1917
Casanova
(1905)
Die Zeiten, gnädige Frau, sind längst vorüber,
Da Liebe noch des raschen Mutes Lohn!
Beim großen Gott, ich ginge lieber,
Den Degen am Gehenk, im stählernen Plastron,
Und säh' ich wo in einer Abendstunde
Ein Weib von Ihrer Huld und Zier,
Dann wagt ich meinethalb die Todeswunde
Im Waffengang mit ihrem Kavalier,
Und es entschiede sich:
Er oder ich!
Dann hielte eine Gondel wo im Schatten
Und trüge ein verhangenes Gezelt;
Der Schrecken stürbe in Ermatten,
Ein Körper, den die Furcht entseelt,
Zwei Hände lösten mählich sich vom Krampfe,
Belebten sich zu keusch verzagter Gunst -
Das Uebrige vollbrächte meine Kunst
Vom ersten Kusse bis zum letzten Kampfe,
Indes aus fernen Gärten Saiten stöhnten,
Doch nicht so süß wie ihre Seufzer tönten...
Die Zeiten, gnädige Frau, sind längst vorbei!
Heut lohnt den raschen Mut die Polizei,
Doch nicht so süß wie ehedem die Liebe.
Der Degen mangelt, und Spazierstockhiebe
Verletzen zwar, doch machen sie nicht frei.
Und dann, Ihr kühner Kavalier! O weh!
Pardon, das war vielleicht ein wenig roh!
Ich sah mit ihm Sie gestern im Café:
Hochsommernacht und er - im Paletot...
Wenn ich bedenk', daß dieser greise Blick
Auf deiner jungen Schönheit ruht,
Daß dies Geripp' dein warmes rotes Blut
Verdammt zu ew'ger Sehnsucht Mißgeschick -
Daß "er" dich sieht, wenn alles schon gesunken,
Und nur die letzte Seide zögernd träumt
Dem Tropfen gleich, der an der Blüte säumt,
Weil er von ihrem Duft nicht satt getrunken -
Wenn ich bedenk', daß "er" dich künstelnd zwingt
Zu sinnberaubten, rauschlosen Geberden,
Statt daß sich jubelnd dir der Schrei entringt:
Jetzt will ich sterben oder Mutter werden! -
Beim großen Gott, dann trag ich's länger nicht
Und werfe ihm den Handschuh ins Gesicht,
Und es entscheide sich:
Er oder ich!
Sie lächeln, gnädige Frau? Mag sein, ich bin ein Schwärmer.
Und doch, ist man bei kluger Nüchternheit
Nicht auch um manches heiße Prickeln ärmer -?
Ich träum' mich gern in eine reich're Zeit,
Da 's mehr Gefahren gab und mehr Courage:
Da forscht' ich, wollt' ich Ihren Gatten schonen,
Durch meinen Mohren, wo Sie wohnen.
Dann schlich' im Zofenkleid mein blonder Page
In Ihr Gemach mit manchem Liebespfand.
Ich selber nahte mich - vielleicht im Dome,
Vielleicht im Karneval, im Maskenstrome -
Und drückte heimlich Ihre süße Hand.
Und endlich dann in Sternensommernächten,
Sie am Balkon, um Ihre lose Flechten
Das Mondlicht silbernd und wie Wellen kühl,
Im Garten ich - mit Schwert und Saitenspiel,
Gleich gern bereit zu singen und zu fechten!
Und dann ein Zögern, Flüstern, Für und Wider -
O edle Scham, du keusche Kupplerin! -
Dann glitte doch die seid'ne Leiter nieder
Und ich - vergesse, wo ich wirklich bin.
Das Leben ist banal und kostet Ueberwindung,
Mein Mohr, mein blonder Page sind dahin -!
Mir bleibt ein Dienstmann und die Postverbindung...
Drum gnädige Frau: Wenn Sie der Unbekannte
Von gestern abends im Café
Interessiert, beglückt ihn ein Billet:
Adresse: "Casanova", poste restante. -
Anton
Wildgans . 1881 - 1932
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