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Anton Wildgans
Herbstfrühling
. 1. Auflage 1909
Le crepuscule du soir
(Nach dem Französischen des
Baudelaire)
Der Abend, des Verbrechens Spießgeselle,
Schleicht leis heran. Da schließt des Himmels Helle
Sich wie ein weites, dunkelndes Gelaß -
Jede Begierde wächst in's Uebermaß.
Abend, du lieber - Trost der wackern Leute,
Denen zu lagen ziemt: Wir haben heute
Gearbeitet - du bist es ja, der segnet
Verzehrten Geist, dem wildes Weh' begegnet,
Rastlose Stirn, die schwer von Denkens Wucht,
Gebeugten Mann, der müd sein Lager sucht.
Indes erwachen wie aus Schlafes Schwere
Verruchte Geister in der Atmosphäre,
Fenster und Dächer streift ihr Flügeldroh'n.
Beim windgescheuchten Flackern der Laternen
Wimmelt jetzt aus Spelunken und Tavernen
Ameisengleich die Prostitution.
Und findet Wege, wo sie niemand ahnt,
Dem Feinde gleich, der einen Handstreich plant,
Und wühlt im Rumpf der Stadt nach Kot und Resten,
Bandwürmern gleich, die sich im Menschen mästen.
Und hier und dort hört man die Küchen prasseln.
Von Bühnen kreischt es, die Orchester rasseln,
Indes sich zu den Spielern an den Tischen
Gauner und Dirnen als Komplizen mischen.
Die Diebe aber wollen auch nicht rasten,
Raffen das Geld aus leiserbrochenen Kasten,
Um es am andern Morgen zu versaufen
Und ihren Liebchen neuen Putz zu kaufen.
In solcher Stunde, meine Seele, löse
Und sammle dich vom störenden Getöse.
Jetzt ist es, wo die Kranken schlechter werden,
Das Dunkel drosselt sie, all ihr Beschwerden
Vollendet sich im selben finstern Schlund,
Ihr Stöhnen seufzt durch die Spitäler, und
So mancher wird mit seinen Lieben nimmer
Zu Abend essen im durchwärmten Zimmer.
Die meisten freilich haben nie gewußt,
Was leben heißt und eigenen Herdes Lust.
Anton
Wildgans . 1881 - 1932
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