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Klabund
Die
Himmelsleiter . 1. Auflage 1916
Die Kette
Das tut so weh wie eine Tote lieben:
Dem abendlichen Tag ins Antlitz sehen.
Sein Wandertum ist dürr zu Staub zerrieben,
Von seinen Strahlen ist ein Strahl geblieben,
Und alle Wolken müssen westwärts wehen.
Mich trugen Hände, weicheste und rauhste.
Kaum Mädchen: dreizehnjährig. Frauen greisend.
So klein- und reinliche! So ganz verlauste.
Voll roter Läuse. Solche: Gottbehauste.
Und solche ohne Ziel im D-Zug reisend.
Und Wassermädchen. Böse Gouvernanten.
Fräuleins, beim Teufel Zahnarzt sich ergehend.
Ihr unverwandt und basenhaft Verwandten!
Ihr Tänzerinnen, die den Tanz nicht kannten!
Maschine! blonde! Zigaretten drehend!
Ihr aus den ölig funzelnden Kontoren!
Du Köchin! Ladnerin! Telegraphistin!
Ihr Mädchen stumm für jeden Dienst geboren!
Ihr Schicksen, an die Wanderung verloren -
Wenn Ihr den Weg nicht wüsstet, ach, wer wüsst ihn?
Und die mit grossen Hunden sich vermählten.
Verrückte, die auf Eisenstangen sassen.
Vergeizte, die die Lust nach Hellern zählten.
Und andre, die sie wie Kartoffeln schälten.
Und Zärtliche, die keinen Kuss vergassen.
Du schlanke Amme! Malerin! Verzierte!
Du Frau des Freundes! Und des Freundes Mutter!
Du Vogel, welcher Hüte braun garnierte!
Du, die den Gymnasiasten einst verführte
Im Kirchenstuhl mit einem Lied von Luther ...
Dass Euer Aller Leib in einer einzigen Umarmung sich mit mir verflechte!
Im schwarzen Park! Im Glänze des Gelages!
Das Ende zeugt unendlichere Rechte.
Die Freiheit meines nie beherrschten Tages,
Euch dank ich sie: der dunklen Knechtschaft meiner Nächte.
Klabund
. 1890 - 1928
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