Gedichte.eu Impressum    

Gedichte, Lyrik, Poesie

Die Himmelsleiter
162 Bücher



Klabund
Die Himmelsleiter . 1. Auflage 1916



Ostpreussenballade

Die roten Dörfer stiegen wie Raketen
In Rosennacht. Die Dünung brach am Meer.
Sie huben an zu fluchen und zu beten
Und sind mit Keulen blass vor Gott getreten:
Gott, unser Gott, du bist kein Preusse mehr!

Der Russe kommt! Wir bäumen unsre Hände!
Blau Auge fiel wie Himmel übers Feld.
Die Mutter suchte, ob sie Gutes fände
An Speck. An Kuchen. Und sie weinte doch am Ende
Um ihren Sohn. Um ihren Tag. Um ihre Welt.

Es schnoben Reiter über alle Grenzen
Mit Lanzen und mit Bärten buschbekraucht.
Da klirrten wie von selber alle Sensen.
Messer stach dornig unter Erntekränzen,
Und Wolke Hass aus jedem Schornstein raucht.

Es sprangen Schädel auf wie Eierschalen
Vorm Hieb des Kolbens, der wie Klöppel schlug.
Sie wollten Fleisch in ihren Mühlen mahlen.
Bei Ortelsburg, bei Lötzen, bei Pillkallen
Sanken sie singend über Egg und Pflug.

Tataren krochen, eisenbraun verrostet,
Vom Staube der Jahrhunderte verlaust.
Ihr, die Ihr nie vom Rausch des Glücks gekostet:
Ihr kamt auf uns, weil Ihr doch kommen musstet,
Und weil so süss der Wind im Westen saust.

Die Erde wimmelte von ihrer Menge,
Ostpreussen nahm sie wild in seinen Schoss,
Und es gebar entsetzliche Gesänge.
Da hoben Adler schon die freien Fänge,
Wie Glas zersprangen Teich und Moor und Moos.

Da warf die Sonne einen goldnen Schatten,
Der lag wie eine gute Hand
Auf den verkohlten und verrohten Matten.
Es glitzerte das Wasser in den Watten
Wie eine Träne, die kein Auge fand.

Die grauen Lider hingen sich wie Raben
Geflügelt schwer vor jede Russenstirn.
Sie schlagen mit den Händen. Schreien. Traben.
Wie Bienen nun aus Wäldern und aus Waben
Züge von Sterbenden zum Tode schwirrn.

Es war so hold, ein Mensch zu sein und Bruder.
Ich wüsste gern, wo meine Schwester war.
Wo liebtest du die erste Frau? Im Fuder
So frischen Heus. Und du? Ein fremdes Ruder
Trieb unbewusst mein Boot aufs offne Meer.

Das Meer ward uns als Wiese vorgelogen ...
Bis unser Schiff ein stolzer Panzer rammt.
Einst ist Gott trocknen Fusses drüberhingezogen.
Vor Mose teilten sich die roten Wogen -
Wir aber sind verdammt ...

Und als sie in der Jauche jäh versanken,
Standen die Preussen stumm Gewehr bei Fuss.
Sie fühlten selber unter sich den Boden schwanken
Und sahen einen Bruder, einen Kranken,
Der sterben muss.

Und jeder wünschte, dass er lächelnd stürbe,
Dass keiner seine Leiden gram bestaunt,
Dass er um seine Söhne so verdürbe -
Ein jeder wusste, dass er Ehr erwürbe,
Davon die Eiche noch nach tausend Jahren raunt.

Ja, als sie tiefer so in sich vergingen,
Da fand ihr Herz nicht Reue oder Schrei.
Die Pferde bellten heiser, als in Ringen
Das Moorblut um sie kreiste. Aber die Russen hingen
Schweigend am Galgen ihrer Litanei.

Und die bei Tannenberg dabei gewesen,
Sie schlafen schlecht. Und tragen schwarzen Flor.
Ostpreussen ist von Asien genesen.
Doch als an diesem Tag das ewige Wesen
Den Himmel aufschloss - weinte Er am Tor.

Er sandte eine Taube auf die Erde.
See brandete. Es zischte der Vesuv.
Er sprach. Und seine Stimme ward Gebärde.
Verschollen im Geläut der Engelherde
Verwarf er sich, weil er das Schicksal schuf.


  Klabund . 1890 - 1928






Gedicht: Ostpreussenballade

Expressionisten
Dichter abc


Klabund
Morgenrot!
Soldatenlieder
Die Himmelsleiter
Der Leierkastenmann
Irene oder Die Gesinnung
Die gefiederte Welt
Dreiklang
Der Neger
Das heiße Herz
Die Harfenjule
Totenklage

Intern
Fehler melden!

Internet
Literatur und Kultur
Autorenseiten
Internet





Partnerlinks: Internet


Gedichte.eu - copyright © 2008 - 2009, camo & pfeiffer

Ostpreussenballade, Klabund