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Klabund
Dreiklang
. 1. Auflage 1920
Die Oden auf Irene
I
Dir dunkelt
Der Mond,
Wenn hell am Schlitten die
Narzissensterne läuten.
Wohin lenkt uns der kleine
Silberne Kutscher?
Tausend Tannen laufen
An den Flanken des Schimmels.
Am Wege kniet ein Berg -
Du frommer Bauer!
Meervogel kreischt
Im Gletscherwind.
II
Wenn es dämmert,
Süsst mich die Sonne.
Sommert der Sommer -
Blinkt mir der Schnee.
Herz zwischen Herzen,
Brust zwischen Brüsten
Wank ich und schwank ich
Und krank ich dahin.
Bis zu den Sternen
Hüpft die Schaluppe -
Blonde am Buge,
Braune am Heck.
III
Der heisse Strom
Rinnt.
Ein totes Herz
Schlägt schnell.
Eine Maus
Nagt an der Wand.
Der Vorhang weht
Kalt.
Im Gang
Noch Licht.
Die Schwester eilt.
Ein Sterbender glänzt.
Geflüster nebenan
Und Glück.
Verzweifelte betasten
Ihren Leib.
IV
Der kleine Mann, der auf dem Leuchter sass,
Mit schwarzem Kopf, japanischer Gewandung,
Den deine Heiterkeit bei mir verliess,
Warf plötzlich heute nacht den Kopf zurück
Und starb. Obgleich er leblos schon: er starb;
Starb zweiten Tod in einer Träne, die
Aus deinem Aug auf seine Hände fiel,
Die er verzweifelt in das Leben streckte.
Er suchte eine Hand, die ihn ergriffe -
Und ihn ergriffen deine Tränen, die
Das schwache Herz aus Pappe töteten.
V
Du wandelst unter den Palmen, Silberkind.
Bananenstrauch begrenzte den Blütenweg.
Schon spannt Magnolienbaum den Himmel seiner
Rötlichen Sterne.
Schlingt nicht der See als silberner Gürtel sich
Um deine Kinderschlankheit? Sind Zypressen,
Die dunklen Schwestern, dir nicht zugetan im
Hain von Brissago?
Aber es schwillt der See. Die Blüten stäuben.
Sommer schweift. Die silbernen Reben reifen,
Und an deinen Brüsten saugt ein
Lispelndes Kindlein.
VI
In den Wimpern verfliesst
Stern und rosiger Mond.
Über dem Meere bereits
Schaukelt die Barke des Lichts.
War gehoben die Brust
Wie die Woge der Nacht.
Unter den Wellen schlief
Herz, der silberne Fisch.
Brenne, liebender Tag,
Um die Schläfen wie in Schaum.
Der Gestaltende neigt
Zu den Gestalten sich gern.
VII
Ich will singen den Gesang meines Elends.
Sein Feuer hat verbrannt mein Herz.
Ich bin nur Asche noch
Im Winde.
Als ich ein Knabe war,
Ich wusste nichts von Tod.
Als ich ein Jüngling war,
Ich lernte Leid.
Als ich weinte um mein Weib
In den Novembernächten,
Ich sah:
Gott grub ein tiefes Grab.
Ich grub wohl tausend Klafter,
Ich fand mein Weib nicht mehr.
Sie ist durch die Erde geflogen
Wie Schwalbe durch Luft.
Dies ist des Menschen Los:
Er lebt nicht ohne Tod.
Er stirbt und tötet
Ewig.
Er tritt die Raupe tot.
Er isst vom Kalbe.
Er mordet ein Geliebtes mit
Gelächter.
Weh über die Weiber, dass
Sie uns gebaren!
Sie warfen uns wie Kot
In braunes Laub.
VIII
Wie ist so dunkel die Nacht und so weit der Weg durch die Wüste!
Wie sind wir geschlagen mit der Geissel des Herrn!
Wie so erniedrigt wir, die wir hochhinschwebten!
Wie in die Knie gebrochen wir Schreitenden!
Kein Stein wird bleiben von unsren Städten.
Kein Wort von unsren Testamenten.
Kein Hauch unsres Atems.
Kein Lächeln unsrer Geliebten.
Mein Vater ist Witwer. Meine Mutter Witwe.
Ich bin eine Waise. Mein Kind stirbt.
Mein Weib ist bei den toten Schwestern.
Ich nur allein so elend auf der Welt.
Auf den Ruinen unsrer Tempel spinnen die Spinnen.
In den Sälen unsrer Paläste feiern die Ratten.
Der Regen salbt meine Stirn.
Zerblasen ist mein Stolz von der Gerichtsposaune.
Wenn ich weine, hagelt es.
Mein Geschrei erschüttert die Wolken.
Meine Blicke blitzen,
Mein Schritt donnert.
Unsre Feinde erheben ihre Stimme und jauchzen.
Sie sind über uns gekommen mit Schwert und Brand.
Unsre Könige und Priester sind ein Gelächter vor ihnen.
Unsre Frauen werden Barbaren gebären.
Ich will zerbrechen das Grab meines Weibes.
Aus einem Schoss ich kam. Ich will dahin zurück.
Es war so gut zu schlafen unter einem Frauenherzen.
Ich kann nicht leben mehr. Zuviel des Leids.
IX
Ich habe verloren mein Weib
Meinen Frieden.
Ich habe ihr
Das Grab geschaufelt,
Den Tannenkranz
Gewunden.
Ich habe verloren meinen Mond
Mein goldnes Herz.
Nun muss ich wandern
In der Nacht
Blindäugig
Dumpf.
Ich habe verloren den Gott
Meinen Vater.
Ich habe besudelt den Altar,
Das Kreuz
Zerspalten,
Die Heiligen
Verhöhnt.
Ich habe verloren die Sprache
Der Menschen.
Nun muss ich lallen
Leisen Laut.
Die Menschen lächeln
Meiner Seufzer.
Die klingen fremd
Wie Vogelwort.
Ich habe verloren mein Leben.
Ich bin tot.
Jeden Morgen
Steig ich aus dem Sarge,
Spei der Sonne
Ins Gesicht.
X
Ich ging einmal im Mai
In einen grünen Garten.
Am Bühling
Steht Sarg an Sarg.
Die Toten
Träumen schwer.
Wir stillen uns den Durst
Mit Blut.
Gott geb dem armen Leibe
Eine reiche Seel.
Läg ich bei meinem Mädchen
In Sankt Anton -
XI
Umhalse mich. Ich friere.
Ich liege so allein in deinem Bett.
Mein Mund sucht deine Lippen,
Meine Hand deine Hüfte.
Ich sah zwei Liebende am See.
Ich sank am Boden hin.
Ich sah ein blondes Kind;
Ich starb den ersten Tod.
Nie wieder wärmt mich deine Wange,
Nie wieder lächelt deine Stirn.
Nie wieder werden wir nach Rosenkäfern haschen.
Nie wieder weinen einer in des andern Aug.
XII
Die Steinmetze hämmern und klopfen an deinem Grabmal.
Mein roter Rosenkranz ist längst verwelkt und abgebetet.
In Deutschland wurde die Revolution
Als Fackel zu deiner Leichenfeier entzündet.
Sie leuchtet über den Bodensee.
In ihrem Schein seh ich die englisch-bleiche Stirn,
Auf der mein Mund so gern verweilte.
Verweile doch! Und steig noch nicht hinab!
Die Erde tropft auf deinen Sarg wie Tränen.
Selbst sie mit ihrem Kieselherzen weint.
Und sollt nicht ich, der ganz mit Blut Erfüllte,
Im Tränenstrom ertrinken und vergehn?
XIII
Meine kleine Schwester
Hat der Wind begraben.
Meine kleine Schwester
Ist verweht.
Nachts am Fenster
Rüttelt sie und flüstert.
Möchte stürmisch
In die Welt zurück ...
XIV
Sieh, wie so einsam und müde ich mein Leben trage!
Sieh, wie meine Hände nicht wissen, was links und rechts!
Sieh, wie meine Augen irren und wissen nicht, was Tag und Nacht.
Und meine zerrissenen Füsse rennen bergauf und bergab.
Sieh, wie so einsam ich früh sitze in kalter Kammer,
Ich schlinge wie ein Hund die Brocken Brot.
Erstickte ich doch dran ... Die Sonne
Brennt wie Schwefel in meinem Mund.
Die Uhr, die deine Sterbestunde schlug, steht still.
Der kleine Bär, mit dem du spieltest, weint.
Dein Nähzeug wartet im bunten Beutel,
Nadeln klingen und Lappen rascheln.
Du tatest Kleinst- und Grösstes heldenhaft.
Dein Lächeln überglänzte Qual und Glück.
Ich war die einzige Träne, die du weintest,
Du Heilige des zwanzigsten Jahrhunderts.
XV
Kind in der Wiege:
Zu Häupten mir ein dunkler Ritter,
Zu Füssen mir ein Schattenmann.
Die Erde schlittert. Und sie erschüttert
Den Wiegenkorb und wiegt mich in Schlaf.
Wenn ich erwache, schrei ich nach Sonne,
Wenn ich erwache, lächelt mein Herz.
Siehe, über des Korbes Brüstung
Reicht mir die tote Mutter die Brust.
XVI
Kleiner silberner Sarg
Schaukelt auf Wellen des Monds.
Falter flügelt am Bug,
Lenkt die schwebende Fahrt.
Weiden streifen den Strom.
Fische schwärmen am Heck.
Rufer am Ufer schrein
Durch die gehöhlte Hand.
Abwärts flutet der Kahn.
Mit einer Barke kreuzt
Er im Delta. Sie rauscht
Stürmischen Segels stromauf.
XVII
Gaukle, Gestade,
Mir doch kein Gold vor!
Keinen hellen Tag mir,
Sonne!
Winselt, Wolken!
Schluchze, Obstverkäufer!
Knarrt, Platanen -
An den Ästen ächzen
Die Gehängten.
Welcher Vogel dort
Überm Berge schreit?
Schon seit Wochen zieht er seine Kreise
Überm Felsen,
Wo der Jäger ihm sein Weibchen schoss.
XVIII
Um meine Füsse flattern
Die welken Blätter,
Des Herbstes braune Vögel.
Über den Wolken
Wandeln die weissen Berge.
Wo du weilest,
Mädchen,
Ist nicht Sternenstaub.
Kein Hauch meines Atems
Trifft dich.
Aber im hohlen Herzen mir
Ist dein Sarkophag
Errichtet.
Ewig streuen meine Hände
Erde auf dein Antlitz.
XIX
Die Birnen läuten im Chorgestühl der Baumkirchen.
Hangend am Gesträuch des Westwindes glaubte ich ewig dem silbernen Geräusch.
Der Mond umarmt die sanfte Hyazinthe.
Ich weiss, was mir bestimmt ist,
Und wie die Stimmen der kleinen Gaukler nur tönen im Turm und wie die Wasserrinnen klopfen so trostlos.
Singe doch, Wand!
Rausche doch, Vorhang!
Und ihr Tassen und Teller, die sie in ihren Händen hielt,
Klappert, klappert!
Es singen am Fenster immer ein Mann und ein Mädchen,
Zwei Töne nur,
Und des Tages finde ich sie nicht, wenn ich sie singen will.
Mein Zimmer ist voll Wind und meine Stirn voller Stürme.
Du rufst mich immer
Wie aus dem Stein hervor,
Du lächelst immer
Wie ganz vergangen.
Ich grabe mich in dein Gedächtnis,
Ich streichle deinen Schuh,
Ich schlafe in deinen seidnen Kleidern auf deinem Bett,
Ich weine nächtelang vor deinem Spiegel.
So oft umschlang er dich;
Ach, warum hielt der Glänzende dich nicht,
Dich nicht die Liebe?
XX
Aus den Wiesen steigt der Nebel.
Im Horizont verströmt der Fluss.
Rote Weinblätter leuchten leise zu meinen Füssen,
Die sind so müde des ewigen Wegs.
Der halbe Mond liegt gekrümmt im Bauch des Himmels wie ein ungeborenes goldnes Kind.
Es ist noch blind und weiss von der Erde noch nicht,
Auf der ein Mensch steht und in den Abend starrt:
Die Augen voll Glanz und das Herz voll Dämmerung.
Wenn erst der Wind wie der Kutscher des Brauerfuhrwerks mit der Peitsche knallt,
Wenn erst der weisse Frost an den Fenstern blüht -
Wenn der Buchs auf deinem Grabe verdorrt ist, bringe ich einen Strauss künstlicher Papierblumen,
Die schimmern wie geschminkte Frauen, die eine flüchtige Minute küsst.
Gib mir die Hand, Mann, wer du immer seist, der du mir in der Dunkelheit des Heimwegs begegnest,
Und vergib mir, dass ich dich nicht lieben kann.
Grüsse deine Frau, deine Kinder und die alte Grossmutter im Lehnstuhl.
Sag, du wärst dem steinernen Menschen begegnet im fallenden Herbstlaub.
XXI
Ach ich sinke dahin,
Sinke und singe im Sturm.
Sterne stürmen. Ein Faun
Bläst die Tuba des Zorns.
Nimmer trüg ich die Erd-
Kugel ein zweites Mal.
Aber in Händen hoch
Halt ich den sonnigen Ball.
Siehe: er schwebet so leicht.
Siehe: ich blühe so schwer.
Und mein Lächeln gebiert
Lächelnde Kinder des Tods.
Klabund
. 1890 - 1928
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