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Gedichte, Lyrik, Poesie

Dreiklang
162 Bücher



Klabund
Dreiklang . 1. Auflage 1920



I. Der Waldmensch

I

Ich lasse dich, Stadt, du steiles Gestirn!
Ich lasse dich, Gelächter und Glocke!
Schaufle, du schiefer Turm, dir dein eigenes Grab: mit grüner Patinaschippe
Oder neige dich über dein eigenes Geländer, von dem Ausflügler sonst in Horizonte starren
Und zerschmettre dich: Stein auf den Stein.
Oder ertränke im Fluss dich, in dessen Wogen du ruhst: ein totes Schiff,
Und die Fische nisten in deiner Glocke und auf den Heiligenbildern laichen Frösche.
Ich lasse dich, du hoher Turm, getürmte Höhe der Tiefe.
Ich lasse dich, du niedres Haus der Feuer-wehr.
Immer löschen sie den Brand, den Gott selbst entzündet, zur Mitternacht und schreien, wenn ein Engel mit goldener Fackel die Nacht durchläuft.
Am Morgen liegt er hingewürgt neben verkohltem Aas:
Gebräuntem Schwein und dampfender Stute.
Ich lasse dich, stürmisches Nacht- und Morgenmahl, wenn die Sonne den Rheinwein rot färbte
und wir unsere Herzen gegeneinanderwarfen wie Nelken.
Du, bissiger Bruder, bedeutest mir wenig mehr denn eine springende Dogge.
Sieh hier in meiner Hand die Peitsche der Qual und der Notwendigkeit, die Not zu wenden.
Einsam bin ich: ein Same unter tausend Säm- und Hämlingen.
Nicht gewinnst du mich zurück mit Schmeichelschau und offener Hand,
Darin die verzerrten Linien sich krümmen wie Würmer und deuten: Mord! Mord! Mord!
Gewürm von Lebens- und Schicksalsgeflecht! Wie Flechten über der Haut hängend: blau.
Schon himmlisch faulig oder wie die Schuppen von überreifen Fischen: glänzend.
Ihr schönen Mädchen, ich gebe euch alle eure aus Glanzpapier geschnittnen kleinen Herzen zurück: ich reisse sie aus dem Buche, darein ich sie klebte:
Nehmt sie zurück: du dies, du deines, du auch ein anderes - was tut's, ihr merkt es nicht, wenn man eure zärtlichen Herzen vertauscht.
Eines ist wie das andere: rot, klein, und läuft schnell wie eine Dampfmaschine.
Ich nehme eine Hand für alle Hände.
Genug: sie schatte mir die Stirn in der Blendung des ersten Lichts.
Ich nehme eine Träne für verweinte Ewigkeiten.
Sie hänge in meinen Wimpern: darin sich spiegle Regenbogen, Mainacht und Tulpenmond.


II

Ist dies die Strasse, die mir ihren Weg befiehlt?
Wohin läufst du, Wurm?
Häuser dunkeln und funkeln rechts und links:
Rote Laterne, schwarze Laterne, rotes Licht, schwarzes Licht.
Elektrisches Licht, Petroleumlicht, Mond und Sonne, Mond und Sonne ihr wechselt: wie Frauenangesicht und Knabenblick.
Ich brenne im Stern, ich fliesse im Strom, ihr Rinnenden, ihr Blinkenden.
Aber keiner ist mir Genosse, Gefährtin und leichte Schwalbe in den Rauchfahnen der Fabriken: schwingend, schwingend.
Ihr fliesst im Strome, der rast abwärts.
Ihr leuchtet in der Fackel, die loht, russig, empor.
Ich aber fliesse bergauf, bergauf: vom Meere breit schwellend durch die lässigen Länder,
Durch Schlünde, durch Schluchten, bergauf, bergauf wie eine Forelle springend:
Immer höher, immer höher: nun tanzend kleiner Bach silberner Strahl,
Nun wie ein Dolch nur noch silbern in die Erde stossend: tief in die Tiefe.
Ich leuchte hinab, hinab: vom Himmel ein breiter Sternenstreif.
Sternenbanner, darin euch winken: Bär, Wassermann und Fisch, Jungfrau und Zwilling.
Der Bär brummt und frisst eure Fressgier.
Der Wassermann taucht eure Hoffart.
Der Fisch schnappt eure Hohlheit.
Die Jungfrau lacht eurer Keuschheit.
Die Zwillinge: Schulter an Schulter verachten eure Zweiheit, eure Liebe.
Denn sie ist falsch wie ein Exempel eurer Rechenkünstler -
Die schwingen den Rechen, Blume und Ähre ins eins zu harken,
Aber Blume ist Blume: und blüht.
Aber Ähre ist Ähre: und reift.
Ihr Mischlinge: eures Vater und Mutter Blutes: ihr Mischlinge: die ihr Blum und Ähre, Tier und Traum mischt wie euer falsches Blut, wie falsche Karten:
Hinab in den Strom, der euch abwärts führt in das Meer und euch ersäuft und eure Leichen gedunsen an den Strand spült.
Hinauf mit euch in das Licht der Fackel: dass ihr geringes Opfer doch verbrennt auf den Altären, dem Sternbild errichtet.


III

Ich höre den Wald am Horizont: er weint.
O winselnde Beteuerung des Baumes!
Im Blätterfall! Im Nadellaub!
Baum steht an Baum: ein Sturm- und Standbild.
Blatt sinkt neben Blatt: in brüderlicher Verwesung.
Eber schnüffeln mit rosa Rüsseln im feuchten Braun.
Ein Mutterschwein frisst Eicheln, dass die sieben Jungen genährt seien mit fetter Schweinemilch und schweinischer Verpflichtung.
Pilze streben aus Blättertod ins Kuppelleben:
Steinpilze, grünlich, Morcheln, dunkelbraun, und die getupfte Lüge des roten Fliegenpilzes.
Mäuse rascheln, Eichhörnchen eilen. Eine Natter höhnt durch den Kreis ihres Leibes und Lebens die Grade: den Baum. Den Punkt: Blattlaus am Farren, Ameisen dienstbar.
Knieholz wuchert. Eine junge Tanne denkt: ich sehe nichts als Stämme. Wo bleibt die Krone unseres Lebens? die ich, wenn klein auch, auf mir trage?
Ich muss hinauf, hinauf, die Krone in den Himmel recken.
Über der Tanne Übertanne werden.
In mir allein muss Himmel hängen,
Und Sonne muss sein: eine Frühlingsknospe an meinem Geäst.


IV

Auf Bretterpodium, flink errichtet,
Tanzt der Tänzer.
Wie rüstig stampft er das Gerüst!
Und schmeisst die Augen wie Jahrmarktsperlen unter euch.
Hei! glühen die Mädchen, glucken die Frauen.
Hei! brummen die Männer, jubelt der Jüngling.
Ihr seid für einen Tag ins Licht des halben Hofes gelassen :
Er hebt die Beine, wie ihr sie hebt, wenn ihr des Nachts zu euren Weibern euch ins Bett wälzt.
Er dreht die Arme in den Gelenken: wie ihr die Arme um eure Kinder legt.
Liebet euch knechtisch, ihr Knechte - ist sein stampfender Gesang.


V

Euch ist die Unterwerfung Süsse. Der Verzicht Glückseligkeit.
Freiheit in der Lüsternheit - und ihr seid erfüllt
(Wie ein Topf ohne Boden mit Leere und Luft).
Die Striemen auf eures Bruders Bücken, rote Druckzeilen vom Druck der Macht, sind Psalmen euch.
Ihr singt sie: immer hundert um einen Bruder versammelt, welcher blutet ...
Ihr lest die blutenden Zeilen. Das Blut rinnt durch eure Blicke, aber durch eure Herzen fliesst Tauwasser vom April.
Erniedrigte, erniedrigt ihr den armen Bruder.
Er ist erniedrigt, er ist vertieft ... gebenedeiter Gauch!
Der helle Herr hat uns in Dunkel gestossen.
Dank ihm, Dank ihm,
Dass er die Julihitze uns erspart und das August-arge.
Wir leben in Höhlen - feuchtes Getier und Gemensch.
Unsere Maulwurfsblindheit ist unser Glück.
Einer wärmt den andern: Leiblichkeit an Leib.
Einer tastet des anderen Traum.
(Oben am Gitterfenster kriecht ein grauer Käfer - eine Seele, zwischen den Stäben, ans
Licht ...)


VI

Was soll ich in eurer Gemeinschaft, die mich Gaukler schalt?
Ihr bleckt eure Zungen gegeneinander und brüllt: Bruder!
Eure Augen funkeln hasserfüllt: Liebe!
Eure Trennung will Gemeinsamkeit.
Ich bin nicht der eure!
Ich gehe nicht aus mir heraus: zu euch.
Ich bleibe bei mir.
Ich bin der Meine.
Der Seine.
Bin dessen, der den Taubenfittich regt,
Der unsere Nacht mit dem Gestirn beglückt,
Der Regenbogen in das Graue spannt,
Der Herz zum Herzen fügt.
(Nicht: Herz zum Bauch. Nicht: Aug zur Brust.
Nicht: Hand zum Mord. Nicht: Pfaffendienst zur Kunst.)
Nur, wenn ihr weint, rinnt meine Träne auch,
Und wenn ihr blutet, fliesst mein Blut.
Mein Schmerz ist euer Schmerz. Und nur im Schmerz
Erkenn ich, dass ihr meine Brüder seid.


VII

Ich wurde Silvius, der Wald-mensch:
Wald ist mein Wunder.
Brombeergesträuch wächst auf meinen Schuhen.
Unter meinem Herzen baust ein Kind in Grotte.
(Denn Waldmenschen vermögen zu sein: Weib oder Mann, sich selber fraulich und männlich genug, zeugen und gebären sie.)
Ich werde werfen wie eine Hündin: Silvia, ein Mädchen.
Dem sei die Füchsin Freundin und der Eber Freund.


VIII

Soll ich lächeln euer Lächeln?
Soll ich sehn mit eurer Blindheit?
Ihr Losen, fühlen mit eurer Fühllosigkeit?
Ihr Leichten, schweben mit eurer Vielleichtigkeit?
Ihr Gewissenhaften; schmachten in eurer gewissen Haft?
Ich wandle einen Weg, darum euch zu wissen wäre schon Wahn und Witz, den sich die Gassenbuben nachriefen.
Ich sage Wald! Ihr seufzt: Stadt!
Ich sage Baum! Ihr lispelt: Brunst!
Ich sage Land! Ihr paukt: Fester Staat und festliche Staatlichkeit!
Ich schreie: Gerecht! Ihr zuckt die fahlen Achseln wie Wetterleuchten: Gerücht ... Gerächt ...
Schwerhörig seid ihr: ja schwer hörig eurem finsteren Herrn.
Schwerfällig - denn sehr fällig ist der Gerichtstag.
Zweierlei ist dieses: ihr und ich.
Wie Mensch und Mönch.
Wie Wesen und Wasen, aufsteigend kalt und grau aus Nebelgrüften.
Zweierlei ist dieses: demütige Ein-heit und herrsch- und mondsüchtige Vielheit.
Preis sei dem Pöbel, dass er seine völkische Brust entblösst und weist unter dem posaunenden Panzer Geschwür und Schwäche.
Aber der Held geht einsam - ohne Schild, ohne tönende Rüstung, ohne eisernen Schnabelschuh: nackt, hell, auf-recht, und sein Leib leuchtet in der Sonne, die Sonne leuchtet in seinem Leib.


IX

Ich baute mir mein Haus: aus Stämmen.
Ich stemmte mich an jeden Stamm.
Ich legte die Axt an die Wurzel: da sank der Baum mir brüderlich in die Arme; sprach:
Ramme mich als Pfahl deiner Zuversicht!
Ich rammte ihn: da trieb er ohne Wurzeln Blüten, knospete, ergrünte in Blättern, errötete in Knospen - denn meine Zuversicht war der Frühlingswind und mein Glaube war die Wurzel.
Vier Pfähle rammte ich: nach jeder Himmelsrichtung einen.
Süden : meine Sehnsucht!
Norden: mein Heim-weh,
Osten: meine Hoffnung,
Westen: mein Ziel ...


X

Silvia: ich liebe dich.
Eines Nachmittags, als ich im Schatten der Eiche
schlief, stiegest du aus dem Baum, aus jenem Spalt, den einst der Blitz schlug.
Du stiegest sanft in meinen Traum und spieltest mit ihm wie mit einer Perlenschnur: Eia, glänzte er um deinen Hals so silbern.
Aber du verträumtest dich in den Traum - und gingst in mein Erwachen über.
Denn so schnell erwachte ich, dass es dir nicht gelang, aus dem Traum zurück in den Baum zu schlüpfen.
Nun da ein Menschenauge dich erblickte, musstest du ins Leben, im Leben verweilen und leuchten in seinem Blick.
Musst sein, borkige Blüte,
Und blühen an meiner gebräunten, hölzernen Brust.
Denn siehe: so lange lebte ich schon im Wald, dass mein Fleisch Holz wurde und mein Haar Moos.
Meine Füsse sind Wurzeln.
Meine Hände greifen als Äste in Tau und Regen, Mond und Morgenrot.


XI

Du hüpftest gestern aus dem Spalt des Baumes, den der Blitz schlug, Dryade, schönste der Natur!
Heute aber tauchest du aus der Lache: silberweiss: ein Schwan.
Schüttelst dich in der Sonne, und der Tau fällt wie Sternschnuppen von dir, du Himmel!
Dryade gestern - Nymphe heute - wie hast du dich gehäutet: aus Borkenbraun in Wasser-weiss.
Aber immer, Gestalt, gestaltest du mich.
Moosverbrämt steht noch aus römischem Jahrhundert hier ein Sockel, mit steinernen Narzissengirlanden umwunden.
Venus selber zierte ihn einst oder die strenge Hera;
Pallas, prächtig geschirrt, den Vogel auf dem Helm.
Auf jenen Sockel heb ich dich, die einzig Werte.
Jenen Göttinnen ganz gleich: Glanz reich.
Wie nenn ich dich?
Wie kenn ich dich?
Wie brenn ich, wie berenn ich dich?
Sei Waldfrau waldigem Mann!
Schwanke, du Birke, neben Tannentrotz!
Sei Windgelächter im Oktobersturm!
Sei Leidenschaft im Leid! Johanniskuss!
Sei Silvia deinem Silvius!


XII

Einst war ich verzaubert, sprachst du.
Mein Vater hiess Goldner,
Meine Mutter: Äffin.
Geschwister waren mir: der sieche Bruder, den du lieben lerntest: Krokus genannt.
Danach die Schwester Wahn-sinn.
Der Bruder, dem der Abend teuer, daher er Abenteurer genannt.
Der Bruder ohne Mark - doch grade Markus geheissen.
Goldner sass auf der Affin: glänzte.
Affin hockte auf Krokus: fauchte.
Abenteurer schalt Markus,
Markus schalt Abenteurer.
Wahn-sinn sann Wahn, sann Sehn-sucht.
Ich floh, ich flüchtete mich in Efeuumschlingung, schlug meine Stirn an Bäume, bis sie bluteten.
Wand Winde um meine gegeisselten Schultern: da wurde aus weiss rot.
Tauchte meinen Blick in Waldgewässer: da wurde blau schwarz.
Badete meinen Leib im Waldteich -
Da fiel von mir ab: Gold vom Goldnen,
Haar vom Pelz der Affin,
Abenteuer und Tagediebstahl - den ich belächelte.
Markus entbrannte zum Apostel.
Krokus aber im Frühling unterm Schnee: er blühte, er blühte!


XIII

Ich hatte einen Bruder, sprachst du, der starb.
Er starb in den Städten, im Rauch der Roheit.
Aber seine Arme waren wie Schwanenflügel gebreitet nach mir, nach mir.
Er sank - und sang das Schwanenlied.
Er sah: Schornstein
Und dachte: Baum.
Er stand auf dem Kirchturm und fühlte sich im Gezweig einer Eiche, sah Schornstein neben Schornstein stehen in Steilheit und fand das Wort und fand den Willen: Wald.
Er sah mich nie, er sang nach mir -
In Purpurnächten, die sein Fieber fahlte.
Er schrie, bis Schaum die Lippen löschte:
Zerrissen sei der Vorhang zum Tempel,
Der Geröll nur und Gerümpel von Kulissen samten verhüllt.
Zerzaust sei die Zeit - wie neunmal gebrauchte Scharpie.
Ich bekenne mich zur Pflicht, zur Verpflichtung:
Aus den Strassen wieder Wege zu machen -
In den Gassen Pfade zu suchen,
Aus den Gärten auf die Äcker zu flüchten.
Zu fliegen nicht: zu pflügen -
Und er kroch gekrümmt auf den Turm, kahl und krank:
Hob die Flügelarme, die armen Flügel, und schrie:
Nicht fliegen! Pflügen! Pflügen!
Aber ein Windstoss ergriff ihn - ja entfuhr ihm - und entführte ihn in die Luft:
Er flog, er flog - wider Willen, im Rausch der Körperlosigkeit.
Zerpflüge mich, Pflug!
Zerrädere mich, Sonnenrad!
Ehe ich denn gehen lernte auf dem Lande über das Land,
Soll ich fliegen über Land?
Er zog die Arme ein und sank zur Erde: zerschmettert.
Wohl ihm die Erde, die ihn tot noch nahm in ihren mütterlichen Schoss ...
Er ist erlöst! -
Erkenne deinen Zwillingsbruder!
Sei gut zu ihm! Er war so gut - zu dir ...
Hier unter diesem Baum, dem ich entsprang,
Ist seine Grabesstätte, sein Grabstatt (o grausige Erinnerung der Stadt, darin er lebte!)
Ist seine weiche Mulde, seine Efeuruh.
Sein Tod lebt jetzt im Baume: lebt in mir.
Ins Leben nicht war ich getreten - ohne ihn.
Ja: ohne seinen Flieger-tod ...


XIV

Ich habe Angst, dich ewig zu behalten,
Denn alle Ewigkeit verdorrt.
Die Jugend blüht nur einen Tag.
Gelächter rauscht nur eine Stunde.
Quelle ist Quelle nur einen Atemzug: schon wird sie Bach und Fluss, wird Strom, wird Meer.
Du bietest die Blumenlippen zum Kuss, streichelst mit kleiner Zunge meine Zähne.
Ich schliesse die Augen voll Entzücken,
Als ich sie öffne: liegt ein Greisenmund auf dem meinen.
Eine zerfressene Nase eitert.
Betäubender Gestank beleckt mich
Wie räudiger Hund.
Ich gab mich ganz. Und du zerteiltest mich in zwei Hälften:
Einst und jetzt.
Ich liebe draussen - und hasse innen,
Ich blühe oben - und welke unten,
Ich glühe aussen - und kalte drinnen.
Verflucht die Ewigkeit - Verewigung des Alters,
Die Verlebendigung des Sterbenden,
Die Blüte der Verwesung!
Ich will ein Baum - ich will kein Strunk sein!
Ich will der Raum - und nicht Erinnerung sein!
Ich will die Zeit - der Tiger auf dem Sprung sein,
Ich will jagen, jubeln, jachtern, ich will jung sein!


XV

Irene war mir Schwester, ehe ich dich kannte, in den Städten schon.
Sie war mir Friede im Krieg
Und Frau unter den Weibern.
Blonde unter den Schwarzen.
Weisse unter den Negerinnen.
Ich legte Sinn in sie: sie schenkte mir Gesinnung.
Und Frau und Friede wurde all und eins,
Und Gottes Tochter ward Geliebte mir.
Du Baum mir! Baumentsprungen! Aber Vogel sie!
Dryade du! Doch Göttin ja auch sie!
Aus Pulverwolken abendrot entzündet!
Seid beide mir Ergänzung!
Mir Erglänzung!
Drei-einig wir! Du drei! Du heilige Zahl!
Denn drei ist Gott:
Gottvater, Sohn und Heiliger Geist.
Denn drei ist Licht:
Stern, Sonn und Mond.
Denn drei sind die Bezirke unserer Seligkeit:
Die Kunst, die Liebe und die Weisheit: eins und drei.
Drum drei auch wir: Gottmutter du, Gotttochter sie, Gott ich.
Du Süd-, sie Nordpol. Erdenmitte ich.


XVI

Ich traf einen kleinen dicken Mann.
Er rief zur Brüderlichkeit:
Alle kleinen dicken Männer,
Alle Kleinen
Alle Dicken
Alle Männer
Alle.
Er trug eine Hornbrille, seine kleinen boshaften Augen besser zu sehn.
Spitze rote Flammen züngelten auf seinem Schopf.
Er rief zur Umarmung:
Alle schlanken schönen Frauen
Alle Schlanken
Alle Schönen
Alle Frauen
Alle.
Dicker Mann trat zu ihm. Sagte: Du.
Kleiner Mann sprang auf den Schoss ihm. Kreischte: Du.
Aber Mannesbild Mann hob seine klaren Himmelsaugen.
Da verkrochen sich seine boshaften Blicke am Boden wie geprügelte Hunde.
Und der Mann wandte ihm den stählernen Rücken.
Schlanke Frau sprach: Pappel! Und wuchs aus seinen Händen in den Himmel, dass er den Stamm nur hilflos umklammerte und sah empor: Wo ist ein Ende?
Schöne Frau sprach: Träne! die rührte ihn mit Gewalt des Giessbaches, dass er darin versoff und hob die Arme nur noch flehend aus der Träne und schrie, schon unter Tränen: Schönste Frau!
Da erlöste ihn Fraulichkeit und lispelte: Mutter! Die Tränen teilten sich wie die Wogen des roten Meeres und er lag in einer Muschel, eine kleine, glänzende Perle, umschält.
- Da wehte der blaue Schal, der heilige Schal der heiligen Silvia um meine Stirn.
Ich atmete ihren Atem.
Wie bebte ihre Brust, dazwischen ich liebend schlief, so kindlich gebettet.


XVII

Ich habe Sehnsucht, mit euch zu sprechen hinter dem Kohlenmeiler,
Wo der Rauch aufsteigt
Und mein vom Rauch erhitztes Gesicht euch entzieht wie einen roten Lampion im plötzlich
ausbrechenden Augustnebel, der über ein Sommerfest hinfaucht:
Böser bin ich als meine Bosheit je gestand.
Man gab mir, zu hüten, eine heilige Kerze:
Ich ging in die Kirche, stellte die Kerze vor die Madonna, zündete sie an und lief davon.
So brannte die Kerze hernieder bis auf den Docht, welcher statt reinen Glanzes schwefelnde Dämpfe um die Madonna goss.
Man gab mir ein Schwert, zu kämpfen.
Ich aber lief in den Wald, stiess es in einen Baum - und lief davon.
Man gab mir einen Griffel, zu schreiben auf eherner Tafel.
Ich nahm ihn und kritzelte: Kakadu. Baumspecht. Traumspecht. Und nichts als Vogelwort.
Oder ich malte Spinnengespinst: dass Flieger wie Fliege sich darin verfange.
Oder ich schrieb: la la und Echo immer tausendfach lala.
Löwen sassen und sahen in meine Schrift und schüttelten die goldnen Mähnen.
Ein schwarzer Puma gähnte.
Ein Affe malte mit dem Schwanz die zarten Zeichen nach:
Zinnober! Zinnober! Nicht schwarze Schrift stets: Grün und Rot soll strahlen.
Gezelt und Welt und Feld: aufblätternd bunt.
Aber der Griffel sinkt. Und Tränen taumeln.
Kleine heilige Haselmäuse
Löschen alles, was ich schimmernd schrieb.
Nichts bleibt, was ich schrieb: nicht Spinneweben.
Nicht das Vogelwort. Und nicht der braune Dörfersang.
Nur die Tränen werden ewig glitzern
Auf der leeren Tafel,
Weil ich weinte, als ich werden wollte,
Weil ich lebte, als ich sterben sollte.


XVIII

Du kleine Stadt, der Eltern Wohn- und Hohnsitz, begrüssest knieend meinen nächtlichen Besuch.
Durch die Allee taste ich mich, noch den Wald in Händen, von Baum zu Baum.
Kein Mond leuchtet. Nur hier und da ein bürgerlicher Stern, eine himmlische Laterne.
Über Brücken stampfe ich dumpf. Viel Wasser fliesst zu Tal und Traum.
Ich donnere in den Strassen. Gehäuse, schneckenhaft errichtet, bebt - und ein älteres Liebespaar fällt aus den Betten. Die Zukunft tropft auf den Bettvorleger - das Ungeborene weint.
Den Kirchturm packt ein Orkan und wirft ihn in den Strom, zwei Dutzend Kähne heilig damit bedeckend, einen Dampfer nach oben stülpend.
Ein Bierwagen, der die nächtliche Stadt auf dem Weg zu den Dörfern durchrumpelte, wird eine Meile weit weggetragen; sanft: und poltert erstaunt durch fremde Städte.
Stossweisse, erderschüttert, speit der Marktbrunnen Wasser.
Der Nachtwächter bläst verzweifelt unter dem schwingenden Rathausbogen in sein Horn.
Ein Einbrecher lässt den Hammer fallen.
Ein Mörder erdolcht sich selbst in der Verwirrung.
Auf weinlaubumsponnenem Balkon steht mein Vater silberbärtig im Schlafrock und brüllt: Ruhe! Ich bin Bürgermeister - und Meister aller Bürger, Meister vom Stuhl - vom Stuhlgang aller Bürger! Wer stört die bürgerliche Nacht? Und zerrt das Alter aus den Kissen, die Jungen aus den Küssen hoch?
Meine Mutter in weisser Haube weint.
Sie legt den Kopf auf seine knochige Schulter: wie ein Taubenweibchen.
In allen Strassen reisst man die Fenster auf wie bissige Hundemäuler.
Wer blitzt? Ach, der Nachtwächter mit seiner Laterne.
Wer donnert? Ach, der Herr Bürgermeister mit seiner Rede.
Wer ist der An- und Ablass? Ein Vagabund!
Ein Bündel Dreck. Ein Blondkopf, ein Naseweiss, ein Augenblau, ein Aschgrau, ein Herzrot.
Nachtwächter! Tagedieb! Wo ist sein Speer?
Jage er den unliebsamen Störenfried, Störenkrieg aus den Marken der Stadt - aus der Mark.
Mag er im Walde wandern.
Der Freiheit auf dem Feld sich freun.
Kleine Stadt ist kleine Stadt: gehört den Städtern.
Hier findet kein Dorf, kein Wald ... statt.
Die Häuser wanken schon.
In Menschen kriegen und siegen Gedanken schon.
Hinaus! Hinüber! Hinab! -
Meine Mutter schreit:
Mein Kind! Mein Kind! Du blasest stark um uns! Lass uns stehn! Zerbröckle die Häuser nicht! Sie sind so morsch. Fallen bald. Verwirf uns nicht! Wenn du die Geschosse deiner Gedanken wirfst!
Mein Vater schreit:
Du zerbrichst unsere angestammten, angeschmiedeten Ketten. Zerbrecher! Verbrecher! Hinaus aus der Stadt - dass man dich nicht hänge und man dir so Gelegenheit gäbe, dein teuflisches Werk von oben zu betrachten. -
Ich donnere in den Strassen.
Kein Mond leuchtet.
Durch die Allee taste ich mich, dem Wald entgegen, von Baum zu Baum zurück.


XIX

Ich ging in die Stadt, die staubigen Strassen,
Da glotzten gross die Gaukler.
Da grinsten die Gesichter.
Da platzte im Gelächter Bauch und Backe.
Vorzeitig fielen Müttern Kinder aus dem Schoss: Erdbeeren und Johannisbeeren gleich.
Gassenbuben stellten mir ein Bein.
Denn mir war Bart gewachsen über meine Knabenwange: wie wildes Haselgesträuch.
Oben auf dem Haupte stand ein kleiner Tannenwald.
Vögel zwitscherten darin, zur Nacht die Nachtigall.
Eichhörnchen wippten. Meine Füsse fassten - Wurzeln - Wurzel nicht auf dem Asphalt.
Nicht neigte ich den Kopf unter dem Baldachin der Paläste und unter dem Dach der Strassenbahnen.
Nicht trat ich in Häuser, denn sie stanken also, dass mir ihr Gestank den Eintritt verwehrte.
Ich grüsste einen ehemaligen Genossen, gab ihm die Hand, die aber war wie Stein so hart: ein
Fels, der seine quallenweiche Hand zerschnitt.
Ich sprach: da wankte Burg und Kirche.
Glocken zersprangen.
Brücken flogen - ja flogen - wie Vögel in die Luft,
Brücke zu sein von Wolke zu Wolke, von Stern zu Stern.
Das Wasser versiegte.
Ich aber ging stromaufwärts, flussaufwärts, hüpfte wie eine Forelle von Gefälle zu Gefälle, bis ich in das Gebirge kam und kam in meinen Wald:
Dort sass am leeren Strombett die Najade - und weinte.
Und ihre Tränen rollten in das ausgetrocknete Flussbett, dieser schwoll an und trieb von neuem in das Meer: ihre Schiffe und Schiffchen, ihre bunten Wimpel und Gimpel.
Silvia! seufzte ich und umarmte sie.
Verlass mich niemals mehr, zuckten ihre weissen Schultern.
Du hattest mich auf den Sockel gestellt, als du in die Stadt gingst.
Aber ich hatte so lange und hohe Weile da oben - steil auf dem Sockel, hoch im Gebirge, wild im Wald.
Da stieg ich herab - und siehe, als ich an meinen Baum trat, da hatte sich der Spalt geschlossen - mir war die Rückkehr selbst im Traum verwehrt.
Als ich an das Bachufer trat - worin ich mich zu baden und zu bespiegeln pflegte - da war der Bach leer, und statt meiner blauen Augen glotzten mir Kiesel entgegen.
Statt meiner weissen Brüste glänzte darin ein toter weisser Fisch.
Da hatte ich Furcht, dass dich die Stadt behalten und mit dem Lasso ihrer Lässlichkeiten fangen könne, du schwacher Held, und ich schrie:
Ja schrie zum erstenmal in meinem Sein - nach dir.
Und als ich dreimal geschrien - denn drei ist deine, meine, unsere Zahl -
Brach ich zusammen wie ein angeschossnes Reh und weinte haltlos.
Da standest du vor mir: gerettet.
Bleibe, Silvius, im Wald!
Wald ist die Heimat!
Dein belaubter Kamerad!
Die Stadt: dein Feind!
Nicht wissend Wege - Strassen nur.
Nicht ahnend Berg - nur Bürgerpark.
Nicht glaubend Abendrot - nur Abendbrot.
Nicht fühlend Gott - nur Tod.
Nieder mit ihnen, den Niederen.
Erhöhe dich, du Hoher!
Tritt auf den Sockel du - ich mache dir Platz, ich weiche.
Wo Venus, Pallas, Silvia und Irene standen:
Steh künftig du!
Baummensch! Raummensch!
Zeitmensch! Leidmensch!
Du dichtest die undichten Schiffe, dass sie im Orkan wie Kinderkähne aus Papier schaukeln.
Verdichtest lockere Wolken zu Gewitter.
Erdichtest: Fabelwelt im Fabelwald.
Gott gebe dir die weisse Marmorruh:
Tritt auf den Sockel, unser Dichter du!


XX

Ist doch Frühling! Aber im schmalen Tal fault noch das Herbstlaub.
Zerrüttet rase ich von Ruh zu Ruh.
Zuweilen mir ein Licht - blitzt.
War ich ein Löwe, meine Mähne zu schütteln
Und zu schreien in die Wüste,
Zu wandeln golden in den Wüsteneien der versandeten Seelen,
Der Karawane rauhen Ruf zu senden
Und mit der Antilope um die Palme der Schnelligkeit zu laufen.
Ich lauere Lenz! Kahlbaum im spriessenden April!
Lockt nicht Gewitter meine Knospen?
Winkt eine rosen Wolke nicht meinem Grün?
Knabe! Lass uns die dürren Herbstblätter des vergangenen Jahres auf einen Haufen scharren
Mit unseren Pferdefüssen.
Den Herbst entzünden, dass ein Frühlingsfeuer lohe und meine braunen Blätter, meine Herbstträume, runzlig getrocknet, zum Himmel flammen: Zeugnis meiner Qual.


XXI

Viele Frauen weinen um mich.
Sie stehen auf den Bergen und senden ihre Quellen zu Tal.
Nachts funkeln ihre Augensterne am Bergrand,
Und am Tage schluchzen die Schluchten.
Die Tränen rinnen von Quell zu Fluss, zu Strom, zu Meer.
So salzig ist das Meer von den vielen Tränen,
So bitter weht der Wind an der See.
Wäre vergönnt es mir, einen Bach zum Versiegen zu bringen
Durch Opfer meines Leibes.
Ich springe in das Meer - mich in den Frauentränen zu ertränken,
Die mir zuleide und zuliebe fliessen,
Unwürdig ich des letzten Dirnenblickes,
Aus dunkler Strasse schräg mir nachgesandt
In meine Eitelkeit und meinen Pfauenwahn.
O horch! ein Grillenruf!
Schweig, Mädchen, schweig!


XXII

Blitz
Zischt in den Pfützen, die unseren Pfad versumpfen,
Donner
Rollt gewaltig hinter unseren Schritten,
Triumphierend.
Aber unser Haupt umkränzt
Weisser Flieder.
Unsere Hände
Streicheln der Wolkenwinde Saum wie Glück,
Unsre Augen sprühn
Lächelnde Liebe.
Ach, ihr Liebenden,
Ihr Kämpfer,
Die ihr mit mir wandernd eilt,
Wandernd strebt Durch Staub und Stadion,
Warum seid ihr so stolz und feindlich gegen mich?
Taumelt meine Sehnsucht nicht an eure Brust,
Meine Seele in eure Schalen zu schütten?
Meine Lippen bluten
Nach den euren,
Aber eure Stirn ist streng,
Und eure Brauen
Zittern verächtlich.


XXIII

Wenn ich wüsste warum -
Ich wüsste weniges.
Wenn ich wüsste woher -
Ich wüsste viel.

Der Anker auf dem Matrosenarm
Fasst Fleisch.
Mein Gesang aus den Fenstern
Verstummt.

Dorthin segelt die Jacht,
Die Jähe.
Weisse Brust
Atmet die Salzsee.

Die grossen Meere - aber die kleine Quelle
Sah niemand im Alpendickicht.
Nur ein sterbendes Murmeltier
Netzte die Lefzen.


XXIV

Schluchze, Enzianblau!
Die Felsen tosen.
Das Wasser schmeckt eisern.
Himmel helmt mein Haupt.

Hier weint der letzte Schnee
Ins Moos.
Hier beben die Knie
Im Niedersturz.

Der Wind singt im Abendrauch,
Und ein Kind
Hinter Häusern.


XXV

Ich berge mich am Berg
Und sehe auf den See.
Ein Vogel schwimmt - wie weiss!
Er ist wie meine Hand,
Die sich vom Leib gelöst
Und über See und Sein
Sanft wie ein Fittich streicht.


  Klabund . 1890 - 1928






Gedicht: I. Der Waldmensch

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I. Der Waldmensch, Klabund