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Gedichte, Lyrik, Poesie

Dreiklang
162 Bücher



Klabund
Dreiklang . 1. Auflage 1920



II. Du

I

Der Dichter an die Geliebte:

Heute Nacht, als ich erwachte, lag ich nackt, und mein Herz war aufgebrochen wie eine Blüte.
Es blühte auf meiner Brust wie eine Mohnblume, ein Schwarm Hummeln umschwebte es.
Sie sangen, sie sangen.
Mein Leib aber war ein Ährenfeld.
Ich wogte, ich wogte.
Und Winde fuhren über mich hin wie warme Hände.
Und eine heisse Hand war unter den Winden, die tastete zart nach meinem Herzen.
Auf schlankem Stengel schwankte mein Herz.
Sie nahm es, sie brach es.
Roter Tau lag morgens auf den Wiesen.


II

Die Geliebte an den Dichter:

Ich spreche mit dem Himmlischen Herz zu Herz.
In meiner Kammer geht er ein und aus wie ein Mensch.
Der Himmlische ist ein schöner Jüngling. Er ist tapfer wie ein Hieh-k-oh, aber weise wie ein Sching.
Willst du wissen, wer ich bin:
Sprich mit dem Himmlischen.


III

Der Dichter an die Geliebte:

Ich hörte einen Traum rauschen.
Der war wie ein Bach.
Ich sah einen Gedanken fliegen.
Dessen Flug war wie des Annamreihers Flug nach Süden gerichtet.
Hörtest du heute nacht nicht mein Herz an dein Fenster klopfen?
Hat dich der erste Strahl des steigenden Mondes nicht wie meine Hand berührt?
Ich sah ein Zierentenpaar sich sträuben und plustern, schillern und schnäbeln.
Wird der sinkende Mond uns Brust an Brüsten finden?


IV

Die Geliebte an den Dichter:

Ich habe diese Worte auf einen weissen Seidenfächer geschrieben: dass du dir mit ihnen Kühlung und Linderung deiner Sehnsucht zufächelst.
Ein Gebirge steht zwischen uns, und die Häuser vieler Städte verdecken unsere Gesichter -
Aber mein Atem ist der deine, und meine Seele von dir so selig beseelt.


V

Der Dichter an die Geliebte:

I-hi-wei, der heilige Dreiklang tönt in meinen Ohren.
Wei, das bist du geworden, und hei! du meine Freude!
Mit allen guten Geistern hältst du Haus, und alle bösen Geister sind wie Russ im Schornstein.
Sie sind verbrannt zu Asche in deinem Blick.
Der Wind wird die Asche über die vier Meere tragen.


VI

Die Geliebte an den Dichter:

Früher, als ich dich noch nicht kannte, las ich die zierlichen Verse von Mong-hao-yen und
Wang-tschang-ling.
Einige stöckelten auf spitzen Schuhen.
Einige zwitscherten wie Wildenten oder Lachtauben.
Verse waren es, wie man sie den hübschen Mädchen ins Ohr sagt.
Aber ich erinnere mich, dass Mong-hao-yen einmal ernst wurde. Er zuckte schmerzlich mit den Achseln und sprach:
Bald wird es Herbst.
Die Chrysanthemen blühn ...
Die Chrysanthemen sind verblüht ...
Bald wird es Winter ...
Es ist Herbst geworden, mein Liebster.
Es fröstelt mich, und wehrlos bin ich den kalten Winden preisgegeben.
Wenn das Licht in den bunten Lampen flackert, schliess ich die Augen, und ich sage mir immer wieder das Lied vom weissen Haupte, welches Wen-kiun, die unglückliche Gattin Siang-ju's, gedichtet hat:
Wie der Mond so weiss, wie der Schnee so weiss,
Werden unsre Häupter einmal sein ...
Ach, dass ich doch einen Gatten gefunden hätte, der mich unwandelbar liebt, - auch wenn wir beide längst grau- und weisshaarig geworden sein werden.
Die Treue bis zum weissen Haar - welches Mädchen, Liebster, darf auf solche Treue, auf solchen Geliebten hoffen?


VII

Der Dichter an die Geliebte:

Bei der heiligen Schildkröte will ich dir schwören -
Nein,
Bei heiligerem:
Bei deiner blassen Stirn, bei deinem hellen Haar -
Dass ich dich nicht verlassen werde:
In diesem und in dem zweiten und in dem dritten Leben nicht.
Denn du bist alles,
Die drei und die eins,
Die Orchidee und der silberne Maimorgen und der tönende Gesang des Regens im Herbstlaub.


VIII

Die Geliebte an den Dichter:

Ich habe geweint, als ich deinen Brief empfing.
Ich habe gelacht, als ich deinen Brief empfing.
Ich bin an das westliche Fenster gegangen,
Da sassen unten auf der Strasse die Bettler und Tagediebe. Die Tage- und Nachtdiebe.
Da habe ich das Fenster aufgerissen, aufgerissen wie mein Herz, das ich nicht mehr zu halten vermochte, und ich habe den Bettlern und Strolchen zugejubelt:
Thu-fu liebt mich
Ewig
Ewig
Ewig!


IX

Der Dichter an die Geliebte:

Schönster unter den hellen Engeln!
Du schriebst mir von den Bettlern und Strolchen, und dass du sie deines Vertrauens gewürdigt hast; so durfte ich nicht zurückstehen.
Als ich heute morgen den kaiserlichen Palast verliess, und die Bettler von der nördlichen Pforte vor mir die Stirn im Staube wuschen, da sprach ich zu ihnen:
Steht auf, ihr Brüder vom Bunde des roten Herzens. Das beste Herz hat sich Euch offenbart und schwesterlich Euch zugeneigt.
Ihr seid auf heute abend in die Schenke zur Pfirsichblüte an den tanzenden Wegen zu Reiswein und gebratenen Hühnern geladen.
Du hättest die Freude der armen Brüder sehen sollen.
Sie hängten sich an mich wie ein Bienenschwarm, als wäre ich die Bienenkönigin, leckten mir den Staub vom Mantel und riefen:
Aller Himmel goldenster Lohn über dich, erlauchter Herr!


X

Die Geliebte an den Dichter:

Als ich vernahm, dass du wieder zehn Tage allein in den Ruinen von Tscheu-kong zugebracht, um über den Sinn nachzusinnen, die Flüge der Raben zu befragen, das Moos am Boden und die weissagende Pflanze Tschi,
Erschrak ich heftig.
Denn ich weiss, dass deine Gesundheit nicht die festeste ist, und dass die Meditationen an deinem Leibe zehren.
Möchte doch Tao nicht nur deine Seele stärken!
Damit du die Wurzelkost der letzten Woche vergissest, sende ich dir hier eine kleine Schachtel mit gesüssten Früchten.
Ich habe die Schachtel selber mit buntem Papier beklebt:
Tausend rote Herzen, so klein wie Getreidekörner, die der Vogel des Glückes pickt.
Da sich meine leeren Tage so endlos reihen wie eine goldne Kette der kaiserlichen Witwe, beschloss ich, die leeren Schalen auszufüllen, - damit ich meinem Freund bei seiner Rückkehr nicht nur mein arm-seliges Herz, sondern auch eine höhere Vernunft und Einsicht entgegenzubringen vermöchte.
Ich beschloss, mir einen Literaten höheren Grades kommen zu lassen, welcher mir an den Abenden das Tao-te-king aufsagt und kommentiert.
Einiges glaube ich nun begriffen zu haben.
Doch hat mich Tao, auch wo er mir dunkel erscheint, heilig und ahnungsvoll gerührt.
Wenn du wieder bei mir bist, sollst du ihn ganz mir erleuchten,
Und zwischen zwei Umarmungen will ich von deinen Lippen die höchste Seligkeit nicht nur, nein, auch die höchste Weisheit trinken.


XI

Der Dichter an die Geliebte: Willst du die Zeit dir vertreiben, bis ich von Hofe zurückkehre, so rate ich dir, eine kleine Wallfahrt nach dem Hiang-schang zu unternehmen. Dein Literat fünfter Klasse mag dich begleiten.
Auf dem Hiang-schang hat Kaiser Sien Tsung die Gedichte von Pe-kiü-y, in Stein graviert, aufstellen lassen,
Jedes Gedicht eine Steintafel,
Wohl an die tausend Gedichte.
Ein Einsiedler hütet das steinerne Gedichtwerk, und wer sich ein Gedicht des Unsterblichen abschreiben lassen will, der muss für die erste Niederschrift ein Goldstück, für die zweite aber ein Silberstück zahlen.
Ich rate dir, von deinem Literaten dir eine Abschrift des nächtlichen Liedes anfertigen zulassen, und solltest du viele Goldstücke dafür opfern.


XII

Die Geliebte an den Dichter:

Ich sandte dir eine Abschrift des nächtlichen Liedes.
Sie kostete einen Silbertaler.
Was gibst du mir dafür?
Dreimal musst du mir dafür lächeln,
Dreimal meine Stirn streicheln,
Dreimal dir von Li in das blaue Zimmer leuchten lassen.
Hat dich das nächtliche Lied bezaubert?
So will ich dir mein Taglied singen. Aber es klingt
müde, denn ich habe die Nacht verwacht. Und es sollte stolz und selig klingen.
Ich hörte in mich hinein,
Da hörte ich es klopfen wie einen Specht.
Wisse: Ich weiss es seit dieser Nacht:
Mein Himmlischer!
Mein Irdischer!
Mein Mensch!
Ich werde ein Kind von dir haben!


XIII

Der Dichter an die Geliebte:

Der Geist der Tiefe ist unsterblich.
Er ist das Übersinnlich-Mütterliche.
Des Übersinnlich-Mütterlichen Herkommen ist die Wurzel Himmels und der Erde.
Ewig sitzt die Mutter am Webstuhl.
Sie wird des Webens nicht müde.


  Klabund . 1890 - 1928






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