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Gedichte, Lyrik, Poesie

Dreiklang
162 Bücher



Klabund
Dreiklang . 1. Auflage 1920



III. Es

I

I-hi-wei:
Dies ist der heilige Name oder der heilige
Dreiklang.
Mit I-hi-wei wird Es gerufen.
I-hi-wei:
Dies ist Je-ho-va
I-hi-wei:
Dies ist die heilige Dreieinigkeit: Gottvater, Sohn und Heiliger Geist.
Drei auch sind der Göttermenschen, der Menschengötter, der Menschen, welche Gott geworden sind :
Der Inder Buddha
Der Jude Christus
Der Chinese Laotse.
Laotse aber ist der Erste unter ihnen.
In Laotse sah er zum ersten Male: Sich.
Danach in Buddha.
Danach in Christus.
Ich rufe ihn mit seinem Namen
Ich singe ihn mit seinem Dreiklang
Dass er mich höre und erhöre:
Sinn meiner Seele, Seele meines Seins.


II

Ich leugne nicht, dass ich die Weisheit habe vom
Herrn der sieben Hügel,
Von jenem, welchen man auch den Alten vom Berge
nennt.
Fern aber sei es von mir wie fernste Ferne, meine
Unvollkommenheiten, Unebenheiten, Unstimmigkeiten, Unsinnigkeiten zu entschuldigen mit meinem Hinweis auf den Erlauchten.
Sondern: was ich Gutes habe:
Solches ist von Ihm.
Was aber Torheit ist - dies ist ganz mir zu eigen.


III

Dreimal muss der Mensch sich wandeln, um eines zu werden:
Vom Menschen zum Tier
Vom Tier zur Blume
Von der Blume zum Stein.
Gott ist das steinerne Herz.
Ganz unbewegt: von Winden der Verzweiflung.
Ganz ungerührt: von Düften der Verführung.
Ganz unverrückbar.
Es gibt nur eine Wahrheit:
Die des Felsen.
Der Fels ist ewig wahr.


IV

Die Nachtigallen singen heute wie vor tausend Jahren
Denselben Gesang.
Die Esel schreien heute wie vor tausend Jahren
Dasselbe Geschrei.
Jede Nachtigall lauscht der andern Nachtigall und weiss:
Nachtigall.
Jeder Esel horcht auf den andern Esel und weiss:
Esel.
Nur die Menschen haben tausend Sprachen heute wie vor tausend Jahren und sprechen mit tausend Zungen.
Jeder Mensch spricht seine eigene Sprache, und der andere denkt: Unmensch.
Wer Bruder sagt, dem wird erwidert: Feind
Wer Feind sagt, der wird begrüsst: Bruder
Ich und Du: das ist wie Feuer und Wasser
Ich und Du: das ist wie Berg und Tal.
Wehe:
Wir haben vergessen das erste Wort, das uns alle einte.
Wir haben verloren:
Den Sinn
Verhandelt:
Das Sein
Verwünscht:
Die Seele
Wir wollen zusammen schweigen
Mein Mensch
Vielleicht dass wir uns dann verstehn.


V

Wir sind das Zweite.
Wir sind der Durchgang.
Das Erste geht durch uns hindurch:
Zum Dritten.
Wer ihm den Durchgang wehrt:
Wehrt dem Ersten
Wehrt dem Dritten
Wehrt sich selbst.
Also wirkt er wie ein Mörder gegen sich selbst.
Sei wachsam!
Und öffne deine Pforte: dem Ersten!
Der Dreiklang will zum Einklang werden:
In dir
Durch dich.
Der Gott will Harfe auf dir spielen.


VI

Jeder soll sein:
Wie Es.
Das Sein: sinnlich
Der Sinn: sinn-voll
Die Seele: selig.
Ich will nicht werden du
Du sollst nicht werden ich.
Du und ich:
Wir sollen es werden.
Dies ist der heilige Dreiklang.


VII

Es sind drei Männer, welche man Kong nennt.
Der erste ist der Schaltende
Der zweite ist der Waltende
Der dritte ist der Be-haltende.
Schalten, walten, halten:
Sind die drei Eigenschaften des Alten.


VIII

Das Geheimnis aller Dinge ist das
Tai-kie.
Das Geheimnis aller Dinge ist das
Ja-nein.
Jedes Ding sagt zu jedem Ding:
Ja-nein.
Ich liebe dich:
Ja-nein.
Ich bin:
Ja-nein.
Das Ja-nein ist das Noch-nicht und das Nicht-mehr. Es beherbergt das Als-ob und das Vielleicht.
Es bedingt die Dinge
Es beseelt die Seelen
Es ist Vatermutter aller Kinder
Enkel der Ahnen
Und Ahne aller Enkel


IX

I-hi-wei: dies ist der heilige Name oder der heilige
Dreiklang.
Drei ist die heilige Zahl.
Denn:
Dreimal drei Zeiten lebt der Mensch. Am dritten Tage der dritten Berufung stirbt der
Mensch.
Drei ist:
Himmel, Erde, Mensch
Sonne, Mond, Stern
Stein, Blume, Tier
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
Mann, Frau, Kind
Sinn, Sein, Seele
Gehen auf der Erde, schwimmen im Wasser, fliegen durch die Luft
Der Liebende, die Geliebte und der Frühling
Südpol, Nordpol und Erdenmitte
Ich, Du, Es.


X

Der Anfang: das ist nicht der Ur-Anfang.
Denn der Ur-Anfang ist kein Anfang.
Der Anfang:
Ist das Erwachen der Kreatur zu sich.
Wenn der Stein fällt und aufschlägt: ich, so ist dies der Anfang.
Wenn der Baum blüht und schattet: ich, so ist dies der Anfang.
Wenn die Woge rauscht und wirft sich über den Strand: ich, so ist dies der Anfang.
Aller Anfang ist leicht.
Aber schwer ist das Fortschreiten:
Vom Ich zum Du
Vom Du zum Wir
Vom Wir zum Ihr
Vom Ihr zum Es.


XI

Wenn wir zu den Ahnen beten: so sinken wir in die
Knie vor einem toten Kind.
Das tote Kind ist unser Sinn-bild
Das tote Kind ist unser Stand-bild.
In ihm starben:
Sein Vater
Sein Sohn
Es selbst.
Dies ist der dreifache Tod.


XII

Das Kleine sei noch so klein:
Es ist gross im Verhältnis zu einem Kleineren.
Das Grosse sei noch so gross:
Es ist klein im Verhältnis zu einem Grösseren.
Der Stern verhält sich zum Menschen wie der Mensch
zum Sandkorn.
Aber über dem Stern:
Ist noch tausenderlei Höhe.
Aber unter dem Sandkorn:
Ist noch tausenderlei Tiefe.
Du sollst Ehrfurcht haben:
Vor dem Grössten
Vor dem Kleinsten
Vor dir.


XIII

Wozu ist das Wasser?
Dass man sich spiegelt.
Wozu ist das Feuer?
Dass man entbrenne.
Wozu ist die Erde?
Dass man schreite.
Dieses sind die drei Verwandlungen, auch Kräfte.
Und dreimal muss die Bahn der Drei vollendet werden.
Dreimal muss man sich spiegeln im Wasser.
Das erste Mal:
Im Teich.
Das zweite Mal:
Im Strom.
Das dritte Mal:
Im Meer.
Dreimal muss man entbrennen, sich entzünden:
Das erste Mal:
Am Herdfeuer.
Das zweite Mal:
Am Weibe.
Das dritte Mal:
An der Sonne.
Dreimal muss man die Erde beschreiten: Das erste Mal:
Das Tal.
Das zweite Mal:
Den Berg.
Das dritte Mal:
Das Grab.
Dieses sind die dreimal drei Verwandlungen.
Dies ist der heilige Dreiklang.


XIV

Der Ur-Anfang: dies ist das Eine:
Die Einheit
Die Einfalt
Die Einfachheit
Die Einsamkeit.
Das End-Ende: dies ist das Eine:
Die Einsamkeit
Die Einfachheit
Die Einfalt
Die Einheit.
Ur-Anfang und End-Ende ist eines.
Ur-Anfang und End-Ende sind Anfang und Ende eines Kreises.
Was dazwischen liegt: dies ist die Vielheit:
Das Vielleicht
Das Vielerlei.
Der Weg weist: von eins zu zwei
Von zwei zu drei
Von drei zu eins.
Vorwärts und rückwärts ist eins auf diesem Wege.


XV

Viele sagen, dass sie mit den Geistern Umgang hätten.
Sie lügen.
Wer ein Gesicht im Spiegel sieht, ruft: Geist -
Der lügt.
Wer einen Wind in der Nacht im Traum um sein Lager spürt, seufzt: Geist - Der lügt.
Wer einen Gesang hört in zwei Tönen, immer dieselben zwei Töne, singend wie Mann und Frau, lispelt: Geist -
Der lügt.
Der Geist: ist Geist an sich.
Der Geist: ist Geist in sich.
Der Geist: ist Geist um sich.
Er weiss nur: sich.
Er fühlt nur: sich.
Er sieht nur: sich.
Er hört nur: sich - und wird gesehn, gefühlt, gehört, gewusst: allein von sich.
Der Geist geistert: ich ich ich.
Dies ist das dreimal Eine
Dies ist der heilige Dreiklang.


XVI

Ich bin der Zauberer Dschem.
Ich bin siebenhundert Jahre alt.
Als ich Persepolis erbaute, fand ich in der Erde einen sonderbaren Spiegel. Ich sah hinein -
und erkannte mich.


XVII

Wer stirbt, hat nie gelebt
Wer lebt, wird niemals sterben.
Leben und Tod sind nur wie die zwei Seiten einer Münze.
Leben und Tod sind nur Varianten einer Melodie in Dur und Moll.
Aber das Leben klingt in Moll.


XVIII

Das Reich der Reichen geht zu Ende.
Die Armen heben ihre Arme.
Die Dunklen treten ans Licht
Und das Gelichter verschwindet.


XIX

Der Weise webt nicht Wolle und Spinngewebe in eins.
Denn jenes ist gemacht, dieses getan.
Etwas anderes ist es um das Machen.
Etwas anderes ist es um das Tun.
Etwas anderes ist es um die Macht.
Etwas anderes ist es um die Tat.
Der Wille will die Tat.
Aber der Widerwille die Macht.


XX

Was sind die Könige?
Hochmütig.
Ihre Diener?
Demütig.
Was tragen die Könige?
Schwerter.
Ihre Diener?
Leid.
Besser von dem Schwert geschlagen werden als mit dem Schwert schlagen.
Denn die Schärfe des Schwertes kann nicht bewahrt werden, aber bewahrt werden kann ein
reines Herz.


XXI

Besser einem Diener befehlen und ihm zu sagen: Geh dahin und dorthin - und er geht; als
Tausenden ein Herrscher zu sein und zu sagen: Tut dies und das. Denn von Tausenden folgen ihm nicht ein Dutzend, und alle seine Knechte sind des Herrschsüchtigen Feind. Also dass ein herrschsüchtiger König Feinde hat: innen und aussen. Und zugrunde geht an seiner Herrschsucht.


XXII

Der Gewaltige ist nicht gut.
Der Gute ist nicht gewaltig.
Der Gewalt-tätige herrscht über die Erde.
Aber der Mild-tätige befiehlt den Sternen.
Besser einen kranken Hund auf den Armen tragen als einen toten Feind ins Grab senken.
Besser: leicht zu lächeln als schwer zu schwören.


XXIII

Ich habe meinen Frieden gefunden - was brauche ich den euren?
Der eure ist glänzend, rauschend, wallend: mit Fahnen, Fackeln, Gesang, Wein und Rosinenkuchen. Fremde umarmen einander. Der Dieb und der, welcher aus dem Maule stinkt, sind plötzlich Brüder des Braven und Reinlichen. In den Gärten seufzen die Mädchen.
Aber mein Friede ist stumm: wie ihr toter Mund.
Aber mein Friede ist süss: wie ihr Lächeln.
Aber mein Friede ist hell: wie ihr helles Haar.
Aber mein Friede ist ewig: wie die ewige Seele der Geliebten.


XXIV

Der Gang aus dieser Welt in jene ist nicht anders, als wenn man aus einem Saal in einen zweiten tritt, den noch ein schwarzer Vorhang verhüllt.
Sie haben Furcht den Vorhang zurückzuschlagen, weil sie sich fürchten vor ihrer Seele.
Aber der Weise hebt ihn mit leichter Hand.
Und siehe: der Saal ist heller noch als der zuvor betretene, glänzender sind seine Lichter, die Genossen sind edler, und anmutiger die Tänzerinnen.


  Klabund . 1890 - 1928






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