162 Bücher
|
Gustav Falke
Das
Leben lebt . 1. Auflage 1916
Passeggio
Ich lehne müßig an der niedern Mauer
des lauten Quais. Mir hinterm Rücken hält
mit leisen, gleichgemessenen Atemzügen
die blaue See Siesta in der Sonne
und treibt der warme, weiche Mittagswind
sein Spiel mit sieben braunen Fischersegeln.
Vor mir vorüber doch rollt unermüdet
das Leben seine blanken, krausen Wellen:
Ein Karrenschieber, ein Melonenhändler,
ein Wasserwagen. - Wie die Ochsen schnaufen,
schwer stampfend, tief gesenkt die braunen Stirnen.
Ein Bubenpaar, baarfüßig, rauft vorüber,
und Arm in Arm, mehr jung als hübsch, spazieren
zwei Mädchen aus der nahen Garnfabrik,
nach ihren Schätzen lugend, die sie täglich
um diese Stunde hier am Hafen treffen,
dann der und der, und die und die, und andere.
Da kommt von rechts, ganz klar erkenn ich sie,
in majestätisch ruhigem Wiegeschritt,
Frau Venus durch den Straßenstaub daher.
Schon an dem Spiegel hätt' ich sie erkannt,
den sie gleich einem Fächer in der Hand hält.
Indes an ihrer Linken, wie ein Bübchen,
das die Mama des Mittags aus der Schule
nach Hause holt, munter der Amor hüpft.
Im Arm, wie Mädchen ihre Puppe tragen,
trägt er ein blitzblank Bündel kleiner Pfeile.
Sieht niemand andres denn, als ich, die zwei?
Das blöde, blinde Volk, wann säh es Götter!
Von hellster Sonne übergossen, kommt
das himmlische und nicht gekannte Paar
die Gasse her. Doch nein! Was seh ich denn?
Das ist ja meine hübsche Nachbarin,
von gegenüber, Don Adones Weib,
des Drogenhändlers, mit der fetten Stimme,
und ist ihr Pausback, ist ihr Töchterlein.
Und auch die Puppe mit dem rosa Kleidchen
erkenn ich jetzt; das ist dieselbe Puppe,
die neulich aus dem ersten Stock, o weh,
aufs Pflaster fiel und sich den Kopf zerschlug.
Man hat ihr einen neuen aufgesetzt
von Porzellan, der in der Sonne glänzt,
als wäre er mit Butter blank poliert.
Fürwahr, ich muß mir eine Brille kaufen,
sonst stift ich Unheil noch mit meiner Blindheit,
und drolligste Verwechslung ist am Tage.
Wie, wenn ich morgen etwa, göttertoll,
den Dr. Meyer von der Bürgerzeitung
auf offener Straße für Apollo hielte,
der nähme ohne Dank die Würde an
und übte gleich an mir im Schinden sich,
er, der so wenig von Apollo hat,
als Donna Laura alles von Frau Venus.
Wie sie dahinschwebt, Grazie ganz, den Fächer
in leicht kokettem Auf: und Niederfächeln.
Entzückend, diese Schulterwendung eben!
Und dieser Hals, so schwanenschmiegsam. Gönnt
ihr solche zischendheißen Blicke, Donna,
auch Don Adone, eurem biederen Gatten,
wenn ambra- oder nelkenduftig er
aus seinem Kaufgewölb ins Ehbett steigt?
Ich zweifle, Donna. Diese Rückenlinie!
Und wie sich Don Adones süßes Weib,
mit einem kurzen Blick noch schulterher,
von mir entfernt, seh ich, was seh ich, Götter!
Das sind ja Flügel, was die Kleine trägt!
Die Kleine? Schreitet so ein Mädchen? Nie!
Wär's eine lose Schelmenmaskerade?
Ginziella - Amor sieht sich um und lacht.
Und wieder seh ich blank ein Bündel Pfeile,
und seh die Göttin hohen Schritts im Staub
der lauten Straße, und der Spiegel blitzt,
halb über eine tunikabedeckte
klassische Schulter in der Sonne auf,
daß ich geblendet nicht gewahren kann,
um welche Straßenecke nun das Paar
dem blöden Blick entschwindet. Und so starr
verblüfft ich hinter diesem Mittagsspuk
noch eine ganze Weile her. "Figuri!"
Schreit eine schrille Stimme mir ins Ohr.
"Figuri!" Und der braune Bengel bietet
sein Brett mir hin: ein Katzenpaar aus Gips,
ein Papagei, grasgrün, mit rotem Schnabel,
Il Re galantuomo, Pio nono,
Amor und eine kreideweiße Venus.
"Figuri, Herr, Figuri!" - "Geh zum Teufel!"
Und ärgerlich verlaß ich meinen Platz,
zu seh'n, was Donna Lisa, meine Wirtin,
ans Feuer stellte, denn mich hungert's sehr.
Gustav
Falke . 1853 - 1916
|
|