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Frohe Fracht
162 Bücher



Gustav Falke
Frohe Fracht . 1. Auflage 1907



Die Sühneglocke

Graf Wilhelm - ja, es war schon so,
Ich hab es selbst gelesen,
In einer Chronik irgendwo -
Fromm ist er nicht gewesen.
Er spielte, trank und raufte gern,
Und man ließ ihn gewähren!
Wer will auch solchen großen Herrn
Am Ende Mores lehren.

Doch jeder treibt sein Rad so lang,
Wies ihm der Himmel stundet.
Dann rollts hinab den letzten Hang,
Das wird auch hier bekundet.
Der alten Chronik Lob und Preis
Für treuliches Berichten.
Die Hauptsach steht da schwarz auf weiß,
Das andere muß ich dichten.

Graf Wilhelm reißt das Wams vom Leib,
Heut wards ihm schier zu enge.
Beim Festbankett ein Feuerweib,
Schaumwein die schwere Menge,
Zank, Würfelspiel und Tanz - das macht
Den stärksten Mann marode.
Und ists auch noch vor Mitternacht,
Ist er doch müd zum Tode.

Doch wühlt er auf den Kissen hin,
Wühlt her und kann nicht schlafen,
Und findet sein verwirrter Sinn
Mal einen Ruhehafen,
Gleich jagt ein böser Traum ihn auf,
Zwei stiere Augen bohren.
Ein Totschlag wars. Rasch Erde drauf!
Die Spur ist längst verloren.

Ein Fluch! Er wirft die Decke ab
Und tritt im Hemd ans Fenster.
Das Mondlicht fällt ganz weiß herab,
Sieht alles wie Gespenster.
Dem Grafen schauderts durchs Gebein.
Da - plötzlich - welch ein Klagen?
Die Totenglocke? Kann es sein?
Ist das ihr banges Schlagen?

Ein Ahn hat sie, dem Sterben nah,
Zur Sühne aufgehangen:
Ein Mord, den nur der Himmel sah,
An einem Freund begangen.
Der Ahn wurd fromm, und als er starb,
Die Glock hub an zu läuten.
Ob er die Seligkeit erwarb?
Man wollts nicht anders deuten.

Und immer, wenn ein sündiger Mann
Aus seiner Sipp sollt sterben,
Fing erst die Sühneglocke an,
Klingklang um ihn zu werben.
Dann gabs nur eine kurze Rast,
Kein Stündchen ließ sich borgen,
Und der Gerufne mußt in Hast
Sein Testament besorgen.

Graf Wilhelm war kein feiger Mann,
Trotz seiner Tat im Dunkeln.
Man hilft sich eben, wie man kann,
Und läßt dem Mob das Munkeln.
Ein armer Schelm ist leicht bestraft,
Schwer wird ihm das Verstecken,
Jedoch die edle Ritterschaft
Hat Schild und Helm zum Decken.

Heut aber, da das Glöcklein ruft,
Was hilft ihm Wehr und Wappen?
Er weiß, er ist ein Schelm und Schuft,
Das läßt sich nicht verkappen.
Die Glocke ruft mit Recht. Doch nein!
Ein Trug äfft ihm die Ohren.
Es spukt im Schädel noch der Wein
Mit Brummen und Rumoren.

Doch ob er sich die Ohren stopft,
Die Glocke will nicht schweigen.
Der wunderliche Klöpfel klopft
Den Takt zum letzten Reigen.
Ihm schauderts. Doch zum Teufel! Drauf!
Den Spuk will er bestehen.
Den Degen! Und zum Turm hinauf!
Den Glöckner muß er sehen.

"Wenn der erst zwei Zoll Eisen schmeckt,
Läßt er den Strick schon fahren;
Dies Stückchen hat er ausgeheckt,
Das nächste kann er sparen.
Und wenns der Pfaffe selber wär,
Ich kitzel ihn verteufelt,
Bis seinem Wanst kein Tröpflein mehr
Vom frommen Fett entträufelt!"

Dem Grafen fieberts, doch er nimmt
Mit jedem Sprung zwei Stufen,
Sieht, wie ein Lichtlein oben schwimmt,
Und hört die Glocke rufen.
Eiskalt wehts durch das Schalloch ein -
Die alten Stiegen knarren.
Gespenstisch flackt der Lichterschein
An Mauerwerk und Sparren.

Ein Schatten schwankt groß an der Wand,
Schwankt vor, schwankt hin und wieder,
Es schwankt das Seil, doch keine Hand
Ziehts läutend auf und nieder.
Das Lichtlein glimmt und zuckt und flackt,
Ihm schleierts vor den Blicken,
Er fühlt sich eiskalt angepackt,
Will schreien, und muß sticken.

Er fühlt den Degen in der Hand
Und kann den Arm nicht regen,
Er sieht den Schatten an der Wand
Sich gegen ihn bewegen;
Er weicht, tritt fehl - Gepolter, Krach!
Und alles ist zerbrochen,
Ein Stück vom morschen Treppenfach,
Der Degen und die Knochen.

Am Fuß der Treppe lag er still,
Zwei Hälften war der Schädel,
Der Amtmann kam mit Buch und Brill,
Der Pfaff mit Spruch und Wedel.
Der arme Herr, was hat er nur?
Ganz den Verstand verloren?
Der Pfaffe kratzte die Tonsur,
Der Amtmann sich die Ohren.

Die taube Gret vom Armenhaus,
Mit Stottern und mit Zagen,
Die kam zuletzt damit heraus:
Die Glocke hätt geschlagen.
Sie hätts gehört, die ganze Nacht,
's müßt was zu sagen haben. -
Die taube Gret ward ausgelacht,
Der arme Graf begraben.

Und da er ledig war, kein Sohn
Die Sippschaft mehr verlängert,
So wurd hinfort vom Glockenton
Kein Herz mehr furchtgeschwängert.
Die Glocke freilich hängt noch da,
Mußt sie auch längst verstummen,
Nur einmal, als ich selbst sie sah,
Fing leis sie an zu brummen.


  Gustav Falke . 1853 - 1916






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