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Gustav Falke
Frohe
Fracht . 1. Auflage 1907
Ko-ai
Von dem Glockenturm in Peking
Klingt das herrlichste Geläute,
Eine schönre Glockenstimme
Hört man nicht im ganzen Reiche;
Alle Leute stehn und horchen,
Wenn die große Glocke anhebt,
Bis der letzte Ton verklungen,
Und dann gehn sie sinnend weiter,
Ernster, als sie vordem waren,
Denn der letzte Ton der Glocke
Ist gleich einem wehen Wimmern,
Eines Weibes Todesschrei.
Ko-ai weint aus dieser Glocke,
Ko-ai, die geliebte Tochter
Kuan-yus, des Mandarinen,
Dem der edle Kaiser Yung-lo
Dieser Glocke Guß befohlen:
Groß und edel sei die Glocke,
Und ihr Mund sei lauter Wohllaut,
Rein und keusch wie Himmelsklänge
Und doch voll und weithin tönend,
Alle guten Herzen rührend,
Und die bösen und die harten
Mach sie auf ein Stündchen weich.
Kuan-yu verneigte dreimal
Sich in Ehrfurcht vor dem Kaiser,
Wählte sich die besten Leute,
Wählte sich die höchst geschickten;
Doch der Guß mißlang ihm zehnmal.
Zehnmal fragte Kaiser Yung-lo
Ihn vergeblich nach der Glocke,
Runzelte die Stirne finster
Und befahl beim elften Male,
Wenn es wiederum mißlänge,
Würde Kuan-yu geköpft.
Kuan-yu ging tief in Ängsten,
Ging im Mandarinengarten
Schweren Herzens auf und nieder,
Ratlos tags und ratlos nächtens,
Betete zu allen Göttern,
Wagte nicht, zum zwölften Male
Mit dem Gusse zu beginnen,
Mit den allerbesten Leuten,
Mit den wirklich höchst geschickten;
Doch der edle Kaiser Yung-lo
Wollt nicht warten, ungeduldig
Wollt er Glocke oder Kopf.
Also sah in tiefsten Ängsten
Ko-ai ihren armen Vater,
Ko-ai, die geliebte Tochter
Kuan-yus. Die Kirschenblüte
Hatte sechzehnmal die Jungfrau
Ihre zarten, keuschen Kelche
Öffnen sehn im warmen Frühling
Bei dem Lied der kleinen Vögel;
Selber war sie wie die weiße,
Zarte keusche Kirschenblüte,
Sechzehnmal geküßt vom Frühling,
Lieblicher nach jedem Kuß.
Aber weißer wie die Blüte,
Weißer wie das Licht des Mondes,
Das auf diesen zarten, weichen
Blumenkissen nächtens schlummert,
Färbte jetzt der große Kummer
Um den Vater ihre Wangen;
Und im Mandarinengarten
Ging sie ratlos auf und nieder,
Ratlos tags und ratlos nächtens,
Betete zu allen Göttern
Bis zum kühlen Morgenhauche;
Doch die Götter blieben stumm.
Ko-ai zürnte nicht den Göttern,
Aber war betrübt im Herzen,
Daß die Götter sie nicht liebten;
Und sie ging zu einem Zaubrer,
Ging zu einem Sternendeuter.
Heimlich ging sie, spät am Abend,
Warf sich hin auf ihre Knie,
Klagte ihres Herzens Jammer,
Weinte um den guten Vater
Und begehrte Rat und Auskunft
Aus den Büchern, aus den Sternen,
Über Leben, über Tod.
Als sie aus des Weisen Pforte,
Aus den ernsten Zauberkreisen
Endlich wieder in den Garten,
In den fremden, stillen Garten
Trat mit schnellen, scheuen Schritten,
Da war weißer als der erste
Junge Schnee der Kirschenblüte,
Weißer als das Licht des Mondes,
Das auf diesem zarten, weichen,
Weißen Kissen nächtens schlummert,
Ko-ai, die geliebte Tochter,
Junge Tochter Kuan-yus.
Kuan-yu ging tief in Ängsten,
Ging im Mandarinengarten
Schweren Herzens auf und nieder,
Ratlos Tag und ratlos nächtens,
Betete zu allen Göttern;
Heute sollt zum zwölftenmal er
Mit dem Glockenguß beginnen,
Mit den allerbesten Leuten,
Mit den wirklich höchst geschickten,
Denn der edle Kaiser Yung-lo
Wollt nicht warten, ungeduldig
Wollt er Glocke oder Kopf.
Als die Stunde nun gekommen,
Stand an ihres Vaters Seite
Ko-ai, die geliebte Tochter
Kuan-yus. Die Kirschenblüte
Hatte sechzehnmal die Jungfrau
Ihre zarten, keuschen Kelche
Öffnen sehn im warmen Frühling,
Bei dem Lied der kleinen Vögel;
Selber war sie wie die weiße
Zarte, keusche Kirschenblüte,
Sechzehnmal geküßt vom Frühling,
Lieblicher nach jedem Kuß.
Und nun sollt der Guß beginnen,
Mit den allerbesten Leuten,
Mit den wirklich höchst geschickten:
Sorgsam war die edle Speise
Treu und meisterlich bereitet.
Kuan-yu erhob die Hände,
Betete zu allen Göttern:
Schützt den edlen Kaiser Yung-lo,
Seufzte tief und gab das Zeichen,
Daß der Zapfen ausgestoßen
Und die Flut des roten Erzes
Flösse in die feste Form.
Und es hob zu allen Göttern
Ko-ai ihre weißen Hände,
Betete zu allen Göttern,
Seufzte tief und rief mit lauter
Stimme, als das Erz entzischte,
Rief: "Um meines Vaters willen!"
Hob die lieben, weißen Hände,
Sprang mit ihrem weißen Kleide
In die rote Glockenspeise;
Wie die kleine windverwehte
Kirschenblüte fiel sie nieder
In den roten Feuertod.
Kuan-yu könnt sie nicht halten,
Kuan-yu könnt sie nicht retten,
Konnte Ko-ai nimmer retten,
Fiel vornüber auf die Erde,
Mit dem alten, grauen Kopfe
Fiel er auf die harte Erde,
Daß sein Blut die Erde netzte,
Schrie laut auf, als er so hinfiel,
Schrie nicht wieder, lag da lautlos,
Mit dem alten, grauen Kopfe
Auf der harten Erde lag er,
Netzte sie mit seinem Blut,
Also um die vielgeliebte
Tochter Ko-ai starb der Vater
Kuan-yu, der Mandarine,
Dem der edle Kaiser Yung-lo
Dieser Glocke Guß befohlen:
Groß und edel sei die Glocke,
Und ihr Mund sei lauter Wohllaut,
Rein und keusch wie Himmelsklänge,
Und doch voll nud weithintönend,
Alle guten Herzen rührend,
Und die bösen und die harten
Mach sie auf ein Stündchen weich.
Von dem Glockenturm in Peking
Klingt das herrlichste Geläute,
Eine schönre Glockenstimme
Hört man nicht im ganzen Reiche;
Alle Leute stehn und horchen.
Wenn die große Glocke anhebt,
Bis der letzte Ton verklungen,
Und dann gehn sie sinnend weiter,
Ernster als sie vordem waren,
Denn der letzte Ton der Glocke
Ist gleich einem wehen Wimmern,
Eines Weibes Todesschrei.
Gustav
Falke . 1853 - 1916
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