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Gustav Falke
Mit
dem Leben . 1. Auflage 1899
Und also lieb ich dich
So keusch und zärtlich, wie Geschwister lieben,
Die eines Blutes gleicher Puls belebt,
So lieb ich dich und wünscht', ich wär' dein Bruder,
Der seine schöne junge Schwester schützt,
Gespiel ihr und ein Freund in Lust und Leid,
Und Lehrer, Rater, so wie ältere Brüder
Bei kleinen Schwestern gern den Vormund machen.
O reine Liebe, ohne ein Begehren,
Weil sie ja alles, was sie hold beglückt,
Schon von Natur fraglos zu eigen hat.
Und wieder lieb ich dich, der ich an Jahren
So weit voraus dir, daß ich Mann schon war,
Als deiner ersten Erdenträume Nest
Noch die umwachten Wiegenwände waren.
So liebt ein Vater seine junge Tochter,
Ganz Glück, ganz Sorge und ganz Zärtlichkeit,
Voll heißer Wünsche täglich und Gebete,
In seltsamer und fast verschämter Liebe,
Voll stiller Rührung, die die Lippen meidet
Und nur die reine Mädchenstirne küßt.
O heilige Liebe, selbstlos, nichts verlangend,
Und nur bestrebt, zu sorgen und zu segnen.
Und anders lieb ich dich, wie Liebe liebt,
Die ganz Begehren und ein einziger Schrei
Nach ihrem Himmel ist. Ich schließ die Augen,
Und vor mir steht dein Bild; ich öffne sie,
Und alles Leben webt nur wie ein Schatten
Und lautlos um dein Bild. Dein Name löst
Sich unbewußt von meinen Lippen, wie
Traumhaft sich eine Blüte löst vom Zweig
Und leuchtend niederschwebt. Red' ich, ist's nur
So hingesprochen, denn ein andres spricht
Indessen meine Seele, Zwiegespräch
Mit holden Träumen, Anruf Deines Bildes:
Herz, Welt, Geliebte! Alles voll Begehren,
In süßer Wirrnis und mit Sehnsuchtshänden,
Mit immer ausgestreckten Sehnsuchtshänden,
Und Lippen, die nach deinen Küssen dürsten.
O süße Liebe, süße schlimme Liebe,
Die so mit Rosen peitscht, daß unser Blut
Die Schwelle färbt, wo unsre Sehnsucht kniet.
Gustav
Falke . 1853 - 1916
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