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Gustav Falke
Mynheer
der Tod . 1. Auflage 1892
Zufriedene Stunde
Zufriedene Stunde. Durch die offne Thür
Kommt vom Balkon die milde weiche Luft
Des niedergehenden Septembertages
Und, minder mild, der Lärm der Straße: Kreischen
Von Knaben, die sich balgen; helle Stimmen
Der kleinen Mädchen, Ringelreihe tanzend;
Das scharfe Kleffen meines Nachbarhündchens
Und dann und wann der tiefe Polterbaß
Des Milchmannshundes. Auch das Läuten trägt
Der Pferdebahn zu mir der schnelle Schall,
Und, dumpfer, von der nahen Alster her
Den kläglich heisern Ton der kleinen Dampfer.
Zufriedene Stunde. Auf den Knieen das Buch,
"Jenseits von Gut und Böse" nennt der Vater
Sein wunderbares Kind der Einsamkeit,
So auf den Knien das aufgeschlagene Buch,
Lass' ich den wirren Klang des Lebens lächelnd
Die zarten schüchternen Gedanken mir
Zurück ins dunkle Nest der Seele scheuchen.
Zufriedene Stunde. War ich je so fröhlich,
So herzensstill, so gütig? Oftmals schon
Schlug ich die Thür mit leisem Fluche zu,
Wenn so von draußen mit der plumpem Faust
Der wüste, rohe Lärm des Tages griff
In meine zarten feinen Seelenfäden,
Das kaum begonnene Gespinst zerstörend.
Doch heute kann ich's lächelnd dulden. Seltsam.
Zufriedene Stunde. Ohn' warum, wozu.
Du dreimal Glücklicher, dem jeder Tag
Bringt solche Stunde, solche Stunden wohl.
Und giebt's nicht Glückliche, die immer so,
So fraglos, leben hin ihr ganzes Leben?
Ein wirrer Ton, ein unbestimmter Klang
In all den wirren, unbestimmten Klängen
Der wundersamen Lebenssymphonie,
Füllstimmen nur im wuchtig lauten Tutti.
Zufriedene Stunde. Oder nicht? Ist Schlaf
Nur diese Stille, diese satte Stimmung,
Die wunsch- und fragelose? Wie? Nicht Glück?
Nicht Glück für mich? Wenn sich dem wirren Lärm
Nun hell und klar, wie rieselnd Gold, entringen
Die zauberhaften Solostimmen wieder,
Die feinen kirrenden Zauberflötentöne?
Und in dem stillen dunklen Rattennest,
Das meine Seele nenn' ich, wird's lebendig
Und läuft und springt und drängt und pfaucht und pfeift?
Nein! tutti tutti! forte! con fuoco!
Recht brausend, lärmend, alles übertäubend!
Bum bum! tam tam! Nicht diese zarten, feinen
Geheimnißvollen Rattenfängersoli.
Zufriedene Stunde, stille, satte Stunde!
Ganz ohne Wunsch die eingelullte Seele,
So ruhefroh, so flach, so unbewegt -
Gustav
Falke . 1853 - 1916
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