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Gedichte, Lyrik, Poesie

Das neue Reich
162 Bücher



Stefan George
Das neue Reich . 1. Auflage 1928



An die Kinder des Meeres

I

Einst mir verehrt und gastlich · dann gemieden
Vergelten nun die vielgesichtigen wogen
Die lange scheu? dass sie die sinne lenken
Mitläufer sind dies ganze stück der fahrt?
Du der in öden strassen · quälend glück
Vor uns erschienst · als wunder zu verstehen ·
Kamst von den buchten wie der Nächste Liebste
Wo wälder bis ans wasser ziehn wo früher
Goldperlen trieben unerforschter welt..
Und um die nördlich harte stirne spielt
Und in dem kühlen aug · ein schattenquell ·
Zuckt dir entrücktester verbotner traum
Weil ein geschick dein kinderhaupt gewiegt
In schwanker schiffsnacht und im fabelland.
Sorglosen gangs schleppst du geheime kette
Entziehst dich uns und gibst nur froh vertraun
Dass das geweihte blut der licht-gehaarten
Noch pulst in süss unsinnigem verschwenden.
Seefahrend heil und sucht des abenteuers
Reisst dich - den heftigen zauber frommer tage -
Aus unseren augen auf das fernste meer.


II

Hier prangt die fülle lacht der Ewigen milde
Am frühlingsstrande ihrer wahl .. nur rauch
Des bergs verrät gewaltig innere feuer ..
Du zögling dieser erd - entflammt und hold -
Tritt vor der güldnen alter erzgebild
Des Himmelsboten angeflehte füsse
Und zeig dich ohne scham im ufertempel!
Was fragt und wünscht vor dir der sinn? er kniet..
Und dennoch · wie der herr von tod und leben ·
Ziehst du die seele nach an feinem faden
Und schreckst mit langer schwarzer wimper wink
So oft du kommst... Wie fahl ist dieser morgen!
Sind streifen in der wölbung leichtem blau?
Flecken von schwarz im tiefen fluten-blau?
Gefährlich grollen unterm orgelton?
Umweht ein flor von heimatlichem weh
Küsten der lust und des vergessens? Nie!
Noch blieb der selbe sonnen-prunk · der glanz
Der luft · des opfertages reine stille..
Nur dass Du heute etwas trüber schautest
Entstellt das hohe gott-bewohnte meer.


III

Ersehnter kömmling der an unsrer tür
Oft uns zu kurzem gang im herbstwind lud
Dess fragend wort und sanft metallnes lachen
Trost war der winternacht .. der lang gehegt
Nun vor uns steht geschmeidig frank und schön..
Auf der erblühten lippe heiliger ekel
Und liebliche begier des göttersohns!
Auch du bist unterm wellenlied geboren
Gesegneten gestades wo kein fron
Der emsigen not bedrückt und noch kein hauch
Der steten wollust lasse schlummer bringt.
Am weiss-umsäumten stufigen vorgebirg
Schaut durch des ölbaums silbriges gezack
Bewegte grüne flut und blankes segel
Und nachts am felsen dröhnt der ernste sang
Des ewigen triebs vereint der ewigen qual..
Nachdem unwissend freuden du gespendet
Versippter uns durch der gemeinschaft brauch
Wirst bald du fahren · unsrer hut entzogen ·
Macht-rühmlicher! aus deinem edlen hafen
In welches neue land auf welch ein meer?


IV
Nachklang

Nun klingt die see. Bei allen küsten schlagen
Die wellen funkelnd an und sinken rück
Lichtflockiger schaum verfliegt und vögel schrein.
O meergeborene die im frühen traum
Der jugendlichen weite segen ahnen:
Reichtum und öde · ruhe neben tat ·
Euch klingt das lied der wellen - euer preis
Tönt in der meergeraubten muschel brausen
Die dort ein knabe in die ferne blickend
Zum ohr hebt · lauschend ernst im feuchten wind.

Dir gilt das lied · so lebst du uns nun fort
So unergründbar · kalten augs der tiefe
Noch kaum entstiegen · doch dem untergang
Unwissend nah. Welch fremder schimmer lügt
Ums haupt dies lächeln tückisch glatter wasser?
Dich rettet keine macht auf sichere bahn
Dich spült die woge fort die dich geboren
Und fern im abend leuchtet noch dein haar.

Am bläulichen gestad enttaucht dem lauen
Mittagsgesang der sonnumhüllten see
Dein antlitz greifbar und berückend schön.
In dem gewühle stehst du dunklen blicks
Und deine wange färbt die pracht der sommer.
So lebten sie die wir in ehrfurcht nennen
Von eigner kraft gebändigt hoch und leicht
Und strahlend wie der leib der Schaumgebornen.

Dich aber trug das meer von süd zu nord
Dich - seltsames gemisch von glut und eis
Von jäher kampfwut und von schlaffem stocken.
Was folgst du uns du ende dieser zeit?
Wählst uns zu flüchtigem spiel wie andere mehr?
Die welle treibt dich wechselnd mit dem wunsch
Doch ausgestorben liegt bald jeder strand
Und klagend irrt dein herrenloser geist!

Ihr seid gebannt! der Meergott bläst das lied
Um fels und insel schlingt sein zaubernetz
Verknüpfend schicksal mit dem ton der wogen:
Im starken prall gedrängt · bald bittend gleitend
Verronnen fast und schon in wiederkehr..
Jezt donnert vom erflehten sturm gepeitscht
Die flut zermürbte reste mit sich reissend ..
Sie reisst euch fort · doch eure seele bleibt
Und tönt in meergeraubter muschel brausen
Die dort ein knabe in die ferne blickend
Zum ohr hebt, lauschend ernst im feuchten wind.


  Stefan George . 1868 - 1933






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