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Stefan George
Das
neue Reich . 1. Auflage 1928
Gebete
I
Kam mir erinnerung jener frühlingsstrassen
Lichtfülle in erwartung deines blickes
Und jener abende voll purpurdunkel
Wo hohes leben festlich uns umschlungen
Bis es im nachtgewölb verklang mit flehen:
So schien mir dass aus meinem besten blute
Das bild nur abglanz sei der kraft und würde
Dass ich von unsrem schauer deiner nähe
Beter und Schöner! nicht genug gedeutet ·
Mein lied dem wahren gang mehr nicht entspreche
Als einem ding sein schatten auf der welle...
Nun weiss ich dass der Seher und der Weisen
Verkündigung seit unsres blühens jahren
Als wirklichkeit ein mund nicht ganz erschöpfe
Nun seh ich hunderte von edlen stirnen
Auf die dein schimmer heimlich eingeflossen
Mit ihrer herrlichkeit dein wesen preisen-
Fügsam ein werker der sein teil vollendet
Will ich nicht mehr mit dichterworten klagen:
Da Du der höhere bist muss ich versagen.
II
In wilden wirren · schauerlichem harren
Auf eine mär von trümmern und von tränen
Auf einen toten-ruf.. wohin entfliehen
Dass ich das fest der erde frei begehe?
Mir bangt dass ich umwölkt von frost und starre
Auf die Verkündung minder tief vertraute
Und · was als eifer treibt in meine tage ·
In dumpfen stoff mein feuer nicht mehr presste..
Dass mir der schönsten leuchten führung fehlte
Und ich mich rückwärts in die nacht verlöre.
Da kommt herüber vom gebirg ein wehen
In grauen garten flutet glanz und bläue..
Perlfarbner duft behaucht die schattengegend
Und silbern-südlich lagert dämmerschimmer
Mit sanfter blendung über turm und bogen
Wie einst im knospenmond da du entstiegest ·
Erwartung zittert als ob jezt nicht ferne
Ein tor-gang hallte von ersehntem schritte:
Als wandeltest Du wieder neu gestaltet
In Deiner stadt wo Du für uns gewaltet.
III
So hohes glück war keinem je erschienen
Dass er verharren dürft in seinem strahle ·
Mit auf- und niedergang wird es bestehen..
Ich muss mich neigen überm dunklen brunnen ·
Die form aus seinen tiefen wieder suchen -
Anders und immer Du - und aufwärts holen..
Die reichste feier will verjüngt sich sehen
Der flüchtigen von heut entnimmt sie dauer..
So lass geschehn dass ich an jeder freude
Gemäss dem satz des lebens mich entfache!
Da uns die trübe droht wenn wir nicht strömen
Reisst oft sich unser geist aus seinen grenzen:
Vom glorreichen beginn an webt er träume
In reihen endlos bis in spätste zonen
Verfolgt er zug um zug verwegne spiele..
Zujubelnd den erahnten morgenröten
Hängt er verzückt in unermessner schwebe.
Dann wieder schaut er aus wo sich ihm weise
Ein fester stern - dein stern - zu stetem preise
Und wo ein ruhen sei im allgekreise.
Stefan
George . 1868 - 1933
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