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Hugo Salus
Die
Blumenschale . 1. Auflage 1908
Herrn Reinwalts Ritt
Herr Reinwalt über das Schneefeld ritt,
Ein Brieflein, rosenrot und warm,
Rief ihn in Frau Jorindens Arm.
Die Sonne über das Schneefeld glitt.
Wie hatt' er diesen Brief so heiß,
Vor Liebe fiebernd ihn ersehnt:
"Heut bleibt mein Pförtlein angelehnt."
Das Schneefeld glitzert rein und weiß.
"Heut' komm, mein Kuß erwartet dich,
Heut' ließ der Gatte mich allein,
Heut' will ich ganz dein eigen sein!"
Ein Schatten übers Schneefeld schlich.
Herr Reinwalt griff sich an das Herz:
"Du holdes Weib!" Und dann, und dann
Befiel es ihn: "Du armer Mann!"
Es blitzt der Schnee wie blankes Erz.
"Mein Freund ihr Gatte! Also lohnt
Sich seine Lieb' und Treu' zu ihr?
Und seine Lieb' und Treu' zu mir!"
Blaß überm Schneefeld steht der Mond.
Da zog Herr Reinwalt bang und weh
Den Brief herfür, der drückt ihn sehr
Und war von "Wenn" und "Aber" schwer;
Und kalt und traurig lag der Schnee.
Sein Pferd blieb stehn. Mit ernstem Blick
Schaut es sich um; dann nickt es stumm,
Er wehrt ihm nicht, da kehrt es um
Und geht im Schnee den Weg zurück.
Vom Pferde steigt der Liebesheld,
Sein Torlaternchen schimmert bleich.
Und neue Flocken füllen weich
Der Hufe Stapfenspur im Feld ....
Hugo
Salus . 1866 - 1929
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