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Gedichte, Lyrik, Poesie

Die Blumenschale
162 Bücher



Hugo Salus
Die Blumenschale . 1. Auflage 1908



Legenden

I
Deutschböhmische Legende

Meiner lieben Heimat junge Mütter,
Eines Kindes frühen Tod beklagend,
Essen Kirschen niemals vor Johanni.
Denn die heilige Maria droben
Sammelt abends in dem Himmelsgarten
Um sich her die frühverstorbnen Kinder,
Rote Kirschen, rote, runde Kirschen
Den begehrlich Drängenden verteilend:
"Du und du und du!" Doch jene Englein,
Denen ihren Anteil an den Kirschen,
Allzurasch getröstet, ihre Mütter
Weggenascht da unten auf der Erde,
Bleiben leer; für die sind keine Kirschen...
So die jungen Mütter meiner Heimat.
Und ihr glaubt dies? Und ihr traut Marien,
Und ihr traut der Mutter aller Mütter
Solche Härte zu? - Da sind sie stille,
Sie erröten, ratlos. Eine faßt sich:
"Nein, wir glauben's nicht; nicht von Marien!
Nur, daß unsre Mütter auch so taten,
Nur, kurzum, wer weiß denn, wer kann wissen!
Ich möcht' niemals Kirschen vor Johanni!"
Und die andern alle: "Ja, so ist es!" -
Liebe Mütter meiner schönen Heimat!


II
Griechische Legende

Als nun nach schnaubendem Kampf den Ossa der Pelion krönte
Und den Olympos drüben die Burg der Titanen verhöhnte,
Unter den riesigen Brüdern, die mürrisch ihr Lager sich stampften
Und mit verglühenden Gliedern den zischenden Firnschnee verdampften,
Hob sich Typhon empor: "Noch bin ich nicht müde, ihr Brüder!
Galt mein Taghaß den Göttern, mein Nachthaß lodert hernieder!
Dort in dem Tale drunten, des Knaben Groll schon entfachend,
Wohnt der Chariten Geschlecht, stets heiter und ordnend und lachend,
Blumen mit spitzigen Fingern zu zwecklosen Kränzen verbindend,
Um der Götter Altäre den kindischen Firlefanz windend,
Reigen tretend und singend entlang ihren bunten Gefilden:
Ekel erstickt mir die Worte! Mein Groll erweck' euch, ihr Wilden!
Feinde der saftigen Kraft, vertun sie verzärtelt ihr Leben,
Schönheit ist ihr Gesetz und Friede und Ordnung ihr Streben!
O, wie hass' ich dies ziere Geschlecht!" Aus dem Felsen mit Krachen
Riß er wütend den massigen Block: "Erstick mir ihr Lachen!" -
Und so stand er, den Fels in Fäusten, dem Wuchtenden trotzend,
Weit die sehnigen Beine gespreizt, von Riesenkraft strotzend;
Und er strafft sich empor; und mit Staunen und freudigem Grausen
Sehn die Brüder den Fels ins Dunkel herniedersausen,
Daß noch die Luft, die hinter dem Felsblock zischend sich drängte,
Steine und Vögel und Bäume im stöhnenden Wirbel vermengte ...

Also sauste der Block hinab ins Tal. Die Chariten
Feierten festlich die Nacht und opferten heut Aphroditen;
Sie umschritten den Plan, ein Festlied in jubelnder Kehle,
Daß die Himmlische ihn für ihren Tempel erwähle.
Eros, den goldbeschwingten Gott, und die Schar der Eroten
Hatte die Göttin hinab zum Fest den Chariten entboten,
Und die Götter der Anmut, der sinnigen Liebe, der Lenze,
Hatten sie Lieder gelehrt und neue berückende Tänze.
Jetzt aber kehrten sie heim, wie Lerchen zum Äther sich schwingend
Und aus glücklicher Brust den Sang des Höhenflugs singend;
Eine Rosengirlande in Händen, von Rosen lieblich umwunden,
Schwebten sie singend dahin, aufs engste und schönste verbunden.
Horch: und da stöhnte die Luft, und näher und näher ein Brausen,
Ihrem Fluge entgegen des Felsblockes grausiges Sausen!
Aber Eros, der kleine Gott, die Arme verbreitend,
Flog seinem Reigen voraus, mit dem Finger dem Riesigen deutend:
"Halt, du Poltrer! Ihr Brüder, umwindet mit Kränzen den Wilden!
Und wir geleiten ihn artig hinab zu des Festes Gefilden.
Wahrlich, die göttliche Mutter erhörte das Lied der Chariten
Und wir leiten ihr künftiges Haus ins Tal Aphroditen!"
Auf dem Blocke saß Eros, ihn lenkend mit heitrer Gebärde,
Und mit Kränzen umwunden glitt sanft der Marmor zur Erde.
"Seht, Aphrodite erhört euch, in diesem Marmor verborgen
Schlummert ihr Bild, ihr Altar, ihr Säulenhaus! Tage sein Morgen!"
Jubel und Dank der Chariten. Doch Eros und seine Brüder
Flogen empor zum Olymp. Auf den Pelion sahen sie nieder:
Typhon lag da erschöpft bei den Riesen und stöhnte; und stöhnte,
Als aus den Lüften herab ein Regen von Rosen ihn höhnte...


III
Talmudeske Legenden

1. Der Todesengel

Vor dem Schreibepult des Engels,
Der die Namen der Verstorbenen
In die großen Bücher zeichnet,
Drängen sich die jungen Englein,
Die den Himmel noch nicht kennen.
Und sie sehn den ernsten Bruder
Namen still an Namen reihen;
Und die Englein, ihn umflatternd,
Fragen ihn: Wie heißt du, Bruder?
Sag uns an, du Ruheloser,
Der die Namen der Verstorbenen
In die großen Bücher einschreibt,
Nennst du dich den Todesengel?" -
Hebt den Blick vom Folianten
Lächelnd auf der emsige Schreiber:
"Dieses ist das Buch des Lebens,
Ist das Buch des wahren Lebens;
Aber mich, der es verwaltet,
Nennet mich den Todesengel,
Nennt mich, wie ihr wollt, ihr Kinder!
Bald, wenn frei vom irdischen Staube
Eure Schwingen leuchten werden,
Werdet ihr mich anders nennen!"


2. Die Seele

Ein unendliches Meer, das die Welten umfließt,
Die Welten umfließt und sie umschließt,
Ist die Seele des Herrn.
Ein unendliches Meer, von niemand gesehn, doch es sieht,
Durch dessen Fluten strahlend die Sonne zieht
Und Mond und Stern.

Einen Tropfen des Meers, ihr Menschen bedenkt,
Einen Tropfen hat er in euch versenkt,
Der unsichtbar sieht:
Einen Tropfen, darin die Seele des Ewigen lebt,
Drin der Abglanz des Monds und der ewigen Sterne schwebt
Und die Sonne zieht.

Seele des Menschen, fühlst du rings um dich her
Der Unendlichkeit Strom, fühlst du der Ewigkeit Meer,
Das dich umspült?
Schließ die Lider, o Mensch, und lobsinge:
Heil mir, Meine Seele, o Herr, ist ein Tropfen von dir,
Der die Ewigkeit fühlt!


  Hugo Salus . 1866 - 1929






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