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Hugo Salus
Ehefrühling
. 1. Auflage 1900
Bildhauer Tod
Melancholisches Intermezzo
Ihm war vor Kurzem seine Frau gestorben.
Es war, als wäre ihr Beruf erfüllt,
Seit er die Schönheit ihres nackten Leibs
In weißem Marmor auferstehen ließ;
Als seine Venus ihm den Lorbeer brachte,
Ward marmorbleich die Lippe seines Weibs
Und kalt wie Stein die liebewarme Brust.
Sie starb, und ihre Lippe ward nicht rot,
Als er mit Küssen sie erwärmen wollte;
Die Hand, begabt den Marmor zu beleben,
Berührte schaudernd ihren todten Leib
Und sank verzweifelnd und gelähmt herab.
Durch Wochen starrt sein Aug' in finstre Nacht,
Nach Thränen durstig, wie nach Thau die Flur;
Er hörte nicht, wenn ich mit Freundesworten
Das Ohr ihm füllte, sah gequält mich an,
Wenn ich von unsrer heiligen Kunst ihm sprach;
Da hob er manchmal nur die schlaffe Hand,
Als träumte sie vom heitern Meißelschlag
Der Jugendzeit - und wäre greis und welk!
Dann kam der Lenz. Ich zwang ihn in den Lenz;
Er horchte schmerzlich staunend seinem Locken;
Das Frühlingswunder löste seine Thränen,
Er weinte bebend lang an meiner Brust,
Und meine Thränen flossen in die seinen.
Dort auf dem grünen Hügel saß ich lang
Und sprach mit ihm, und seine Lippen fanden
Statt Seufzern, fast verwundert, Worte wieder.
Wir saßen oft auf jenem grünen Hügel,
Wie wir als junge Künstler schon gethan;
Er lauschte traurig lächelnd meinen Worten
Von Kunst und Sehnsucht, schwacher Kraft und Wunsch.
Und eines Tags, wie glücklich ward ich da,
Sprang er empor und reckte straff die Arme
Und rief: "Ich will und kann, die Kraft erwacht;
Es soll ihr Denkmal sein für ewige Zeiten,
Und nennen will ich es: ,Bildhauer Tod'!
Der grause Tod, vom Faltenwurf umwallt,
Hat aus dem Stein den süßen Leib gemeißelt;
Fast ist das ganze Meisterwerk vollendet,
Nur noch der linken Brust fehlt Form und Weichheit.
Da hebt er grinsend, höhnisch seinen Hammer,
Der Meißel lauert auf der Göttin Herzen,
Und mit der Grausamkeit, die Welten stürzt,
Läßt er den schweren Hammer niedersausen!"
Er stand vor mir, erhobnen Arms, erregt. -
"Es soll ihr Denkmal sein, mein Denkmal werden!"
Ich war erschüttert, aber hoffnungsvoll:
Die Kunst erbarmt sich seines armen Herzens,
Der "Bildner Tod" wird seine Wunden heilen! -
Dann sah ich ihn durch viele Wochen nicht.
Mit meiner jungen Frau kehrt' ich zurück.
Und wenn ein Wölkchen mir Neapels Himmel,
Den Himmel meines jungen Glückes, trübte,
War's das Gedächtnis meines armen Freundes.
Das wache Mitleid mit dem Einsamen
Vertiefte mir das Glück der jungen Ehe,
Daß meine Küsse wie Gebete wurden.
Sie liebte ihn gleich mir und träumte gern
Von ihrer Macht die Stirnen zu entwölken;
Ich glaube dran und hoffe viel für ihn.
Wir fuhren heim, vom Sommer in den Herbst,
Aus Sonnenflimmern in gespenstige Nebel.
Der Erde Brautkleid moderte dahin
Vor unserm Blick in einem Reisetag,
In ihrem Leichenhemde lag sie da.
Dies ist die böse Zeit für trübe Herzen.
"Er muß dem Lenz entgegen, heute noch!" -
"So bildet er den Tod jetzt, nicht die Göttin,"
Sprach tröstend die Geliebte, "glaube mir".
Ich eilte hin zu ihm, ich war bewegt,
Mein Herz schlug ahnungsbang vor seiner Werkstatt,
Ein Strauß von Rosen bebt' in meiner Hand.
So trat ich ein. Ein Dämmer füllt' den Raum,
Ein dichter Staub lag auf den Götterbildern;
Die Uhr stand still, vom Spinngeweb gefesselt.
Ich schlug den Teppich auf zum Schlafgemach
Und - hielt mich dran, sonst wär ich hingestürzt.
Mein armer, armer Freund saß im Gemach,
Die Venus stand vor ihm, sein erstes Werk.
Nein, das war Venus nicht, die Todte wars:
Denn, gleich als wär das nackte Bild der Gattin
Ihm allzufern in diesem Götterbild,
Hatt' er es mit dem langen Hochzeitshemd
Der Toten angethan; den Stein umwallte
Das weiche Spitzenhemd. Er saß davor,
Den wunden Blick verzückt auf sie gerichtet,
Und Thränen schimmerten in seinen Augen
Und zögerten die bleichen Wangen nieder.
So saß er da und merkte nichts von mir;
Die Rosen fielen welk aus meiner Hand,
Ich schwankte fort.
Wird ihm kein Frühling kommen?
Hugo
Salus . 1866 - 1929
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