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Gedichte, Lyrik, Poesie

Ehefrühling
162 Bücher



Hugo Salus
Ehefrühling . 1. Auflage 1900



Das Taschenbuch

"Wenn wir einst Mann und Frau sind," sprach sie oft,
"Will ich von dir nicht mehr Geschenke nehmen;
Sie freu'n mich nur, weil du sie mir geschenkt.
Doch dies verlang' ich: Sonntags will ich Blumen.
Ich will an jedem Sonntag Blumen haben.
Ein Mann, der Blumen bringt, bleibt sicher treu."
Ich küsse sie, sagt, was ihr wollt, gerührt
Von dieser keuschen Weisheit eines Mädchens.
Ich hielt mich dran; und was auch sonst geschah,
Am Sonntag bracht' ich immer meine Blumen.
Nur einmal nicht. Weiß Gott, wie ich's vergaß:
Nahm mir mein ärztlicher Beruf die Stimmung,
Hatt' ich mit einer Kranken meine Sorgen,
Ich weiß es nicht: ich brachte keine Blumen.
An diesem Sonntag war sie still und traurig,
Und ihre Augen sahn mich fragend an,
Bis ich erfuhr, womit ich sie gekränkt.
Wir wurden in derselben Stunde gut.
Ich aber merkte mir's. Und Abends nahm ich,
Daß sie nichts sah, mein Taschenbuch und schrieb
Für jeden Sonntag dieses ganzen Jahres
"Blumen für's Schätzchen" mir in den Kalender.
Nun steht durchs ganze Jahr an jedem Sonntag
Dies Blumenzeichen mir im Taschenbuch.
Geh ich dann Sonntag früh zu meinen Kranken,
So leuchtet es mir mahnend in die Augen,
Und zwischen Tod und Siechthum und Geburt,
Wie Blumen aus den Ritzen einer Mauer,
Lacht mir die Mahnung an mein Glück entgegen.
Wenn ich dann wiederkomme, freut sie sich,
Wie gut ich bin, und meine Blumen prangen
Auf unserm Sonntagstisch - Panier der Liebe.
Heut früh lud ich mein liebes Weibchen ein,
Sie fährt so gern mit mir im offnen Wagen.
Sie wartet sehr begierig vor den Häusern
Und liest mir vom Gesicht die Sorgen ab,
Und freut sich innig, wenn es besser geht.
Wir fuhren durch den blauen Sommertag;
Ich ging und kam: "Du bringst mir Glück, Geliebte!
Noch einen letzten Weg, dann sind wir fertig."
Doch, wie ich wiederkam, war ich erstaunt -
Der Wagen war geschlossen; drinnen saß,
Von Thränen ganz erschüttert, die Geliebte.
Sie sprach kein Wort. In ihren Händen lag
Mein Taschenbuch und "Blumen für das Schätzchen!"
Ich nahm sie in den Arm, sie weinte still,
Als hätt ein Frost die Blumen ihr getödtet.
"Du liebst mich nicht!" Da sprach ich sanft zu ihr,
Und, wenn ich je ein Menschentröster war,
So war ich's jetzt: "Die Blumen blühn, Geliebte!
Im Grau des Werkeltages blühn sie mir.
Der Weg des Lebens geht durch grauen Staub,
Die Meilensteine hab' ich mir umwunden
Mit blauen Veilchen und mit rothen Rosen.
Siehst du denn nicht, wie dieses dunkle Buch
In Rosen unterging und aufersteht?
Der ganze Wagen duftet schon von Rosen,
Guirlanden ranken sich um seine Räder,
So fahren wir durch's Leben. Weine nicht."
Die Sonne ging in ihren Augen auf,
Durch Thränenwölkchen schimmernd. Ihre Arme
Umschlangen mich: "Mich hat es sehr erschreckt."
"So soll auch dieser Tag ein Sonntag sein!"
Den Wagen deckt' ich auf. "Ich komme gleich. -
Nimm diesen Rosenstrauß!" - Panier der Liebe!


  Hugo Salus . 1866 - 1929






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