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Ernte
162 Bücher



Hugo Salus
Ernte . 1. Auflage 1903



Blitze

Ich, Trasimen, den sie den Frömmler höhnten,
- Denn ich war fromm und liebte Zeus als Mann,
Weil ich ihn schon als Kind geliebt, und niemals
Befleckte Zweifel meines Glaubens Tempel -
Nun irr' ich schon ein halbes Menschenalter,
Von den Erynnien gehetzt, durchs Land
Und ward ein Mörder, weil ich gläubig war,
Und mit dem Priester des geliebten Zeus,
Den ich erschlug, erschlug ich mir den Frieden!
Wie ward der fromme Trasimen ein Mörder?
Quoll nicht das Blut, das dieser Mörderfaust
Die Kraft verlieh, aus meinem gläubigen Herzen?
Es war ein Sommertag, der Himmel blau
Und nur ein Wölkchen schwamm im seligen Äther.
Doch dieses Wölkchen barg den neidischen Blitz,
Der mir mein Weib und meine Kinder fällte
Und der mein Haus als Opfer rauchen ließ ...
Da loderten auch meine Arme auf:
"Warum, o Zeus, hast du mich so gestraft?
Was tat ich dir, den meine Seele liebt,
Und den vor allen Göttern ich verehre?
Was tat ich dir?"

                Und sank in Schmerzen nieder
Und quälte mein Gedächtnis nach der Sünde,
Drum der gerechte Zeus mich strafen mußte.
Und Diomed, des Zeus geweihter Priester,
Stand neben mir und sprach: "Erhebe dich,
Gewaltig ist der Gott, der Blitze schleudert,
Und unerforschlich ist der Ratschluß Zeus.
Dies aber künd' ich dir, der Priester Zeus,
Der du dein Leben lang ihm treu gedient,
Nicht Zeus hat diesen Blitz herabgeschleudert,
Denn seine Kinder schützt der mächtige Zeus!"
Da horcht ich auf: "Nicht Zeus den Blitz?" - Und er:
"Zu Füßen des Gewaltigen ruhn die Blitze
Vor seinem Thron; so ward es uns verkündet.
Wenn aber Zeus von seinem Throne steigt
Und durch die Weiten seines Himmels schreitet
Oder sich liebend auf die Erde schwingt,
Dann probt wohl leicht ein andrer Gott sein Können
Und beugt sich nieder vor dem Thron des Zeus
Und freut sich seiner Kraft, hebt einen Blitz
Und schleudert ihn in frevlem Ubermut,
Ein Zeus sich dünkend, auf die Erde nieder.
Ein solcher Blitz hat dir dein Weib gefällt
Und deiner Kinder Schar und Haus und Hof.
Nicht jeder Blitz, der auf die Erde zuckt,
Ist auch in Zeus erhabner Faust gelegen!!"
So sprach der Priester. Und ich sprang vom Boden:
"Nicht jeder Blitz von Zeus?" - "So künd' ich dir's!" -
"Nicht jeder Blitz von Zeus? So gibt es Blitze,
Die niedersausen, weil es Götter freut,
Wie Kinder sich im Diskuswurf zu üben,
Und die doch Blitze sind und töten können?" -
"So ist es, Freund. Denn Zeus ist groß und weise!" -
"Und klug! So niedrig klug, wie kleine Menschen,
Und läßt die Blitze liegen vor dem Thron,
Damit die frevlen Blitze Schleudrer finden!
O kluger Gott, o schlau bedachter Gott!
Der seine Blitze achtlos liegen läßt,
Damit der Schrei der ungerecht Geprüften
Nicht seiner Schwäche fluche! Nein, du lügst!
Beschwöre mir, o Priester, daß du lügst;
Daß jeder Blitz, der aus den Wolken zuckt,
Von Zeus gesandt, von Zeus und göttlich ist!
Das schwöre mir, du Priester meines Zeus!
Du tötest mich, wenn du den Zeus mir tötest!"
Er aber sah mich an und wußte nicht,
Welch ein Gewitter mir im Herzen tobte,
Und schüttelte das Haupt: "Nein, glaube mir,
Zeus ist gerecht, die andern Götter freveln!"
Da traf mein Stein den Lügner. Und ich schrie
Und schrei es noch, ein halbes Menschenalter
Seit jenem Tag: "Du lügst, meineidiger Priester;
Wer Blitze hat, sie in die Welt zu schleudern,
Und wer ein Zeus, ein Gott und Herrscher ist,
Der waltet seines Amts; er wahrt die Blitze,
Daß frevler Übermut sie nicht mißbrauche,
Denn sie sind heilig, wie er heilig ist,
Und Zeus ist nicht so klein, um schlau zu sein!"
Der Priester starb. Ich wandte mich. Die Glut
Verlosch in meinem Haus, das mir die Kinder
Und das mein Weib begrub. Dann floh ich fort,
Ich, Trasimen, den sie den Frömmler höhnen ...


  Hugo Salus . 1866 - 1929






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