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Hugo Salus
Ernte
. 1. Auflage 1903
Die Puderschale
Die reizende Marquise sitzt beim Spiegel,
Mit spitzen Fingern reicht die Kammerfrau
Ihr duftige Fläschchen, Pflästerchen und Tiegel
Und ordnet ihrer Locken Wunderbau.
"Was seid ihr schön, Marquise! Heut' bei Hofe
Erblaßt vor eurem Reiz die Königin,
Erglüht der König". - Und schon reicht die Zofe
Der schönen Frau die Puderquaste hin.
In weißen Wolken geht das Blondhaar unter;
So hübscher paßt die junge Haut zum Weiß.
Der Gräfin Augen blitzen schelmisch munter,
Die altklug spöttischen Lippen trällern leis':
"Wie neckisch ist doch dieses Schneegeflimmer!
Herr König, seht euch vor!" - Da stiehlt sich stumm
Ein blutbesudelt, trunk'nes Weib ins Zimmer
Und steht und schaut voll Hohn die Pracht ringsum.
Sie tritt zur Zofe; die entflieht beklommen;
Marquischen trällert. Aus dem Spiegel blickt
Der weiße Kopf: "Heut' wird mein Sieg vollkommen!"
Das düstre Weib steht neben ihr und nickt.
Sie leert die Puderschale. Aus der Tasche
Füllt sie die Schale bis zum Rande voll
Und hält sie hin, gefüllt mit Staub und Asche.
Marquischen lacht: "Noch Puder? Du bist toll!"
Ein Spiegelblick. Ein Schrei. Sie will entfliehen.
Ein heis'res: "Halt! Dein Zöfchen bin jetzt ich!
Ich dachte dein beim Sturm der Tuilerien!
Bestreu dein Haar! Der Hof erwartet dich!"
Hugo
Salus . 1866 - 1929
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