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Hugo Salus
Ernte
. 1. Auflage 1903
Legende von der Mutter Gottes
Als nun die Mutter Gottes kam,
Ihren toten Sohn vom Kreuze nahm
Und sah ihr Kind, das sie genährt,
Vom Schmerz verzehrt, durch den Tod verheert,
Sie fühlte das Blut in den Adern kochen,
Ihr Herz stand still und verlernte zu pochen,
Und ward in ihrer Brust so schwer,
Als ob es voll glühenden Bleies wär'.
Sie sank am Kreuze hin als tot.
Keine Mutter litt je so bittre Not,
Als da die Mutter Gottes litt,
Da sie am Kreuze niederglitt.
Ihre Tränen, willig bei kleineren Leiden,
Waren da schüchtern und waren bescheiden,
Ach, kein Tränlein traute sich vor,
Da die Mutter Gottes den Sohn verlor.
Sie sank am Kreuze hin als tot.
Da spürt sie in ihrer bitteren Not,
Wie unter dem Hemd ihre Brust sich füllte,
Mit der sie einstens ihr Kindlein stillte,
Und wie sie warm ward und schwer und voll
Und Tropfen auf Tropfen überquoll...
Und da ihre Brust zu weinen begann,
Hub wieder ihr Herz zu schlagen an.
Dies ist das Wunder, das Marien geschah.
Es weiß drum Maria aus Magdala.
Maria aus Magdala stand bei ihr
Und hob sie auf und weinte mit ihr
Und stand bei ihr drei Tage lang, -
Und jeder Tag wie ein Jahr so lang;
Am dritten Tage versiegte die Brust,
Da hat sie nicht mehr weinen gemußt;
Und die neue Woche begann ihren Lauf,
Und der Heiland stand von den Toten auf...
Hugo
Salus . 1866 - 1929
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