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Gedichte, Lyrik, Poesie

Ernte
162 Bücher



Hugo Salus
Ernte . 1. Auflage 1903



Prager Elegien

I

Ihr werft mir vor, kurzsichtigen Blicks, daß heimatlos
Mein bebend Lied nur Traumgebild des Künstlers sei,
In Lüften schwebend, wie die schwanken Herbstesfäden,
Und keine Wurzel saug' ihm Kraft und starkes Leben
Aus der vererbten und geliebten Heimatsscholle.
Wenn Dante sang, so war Florenz in seinem Liede,
Und mit Horazens Lippen sprach das müde Rom;
So sprach Grillparzers Liedermund die Sprache Wiens.
Mir aber ward das kampfgewohnte Prag zur Heimat,
Das hunderttürmige. Ach, die hundert spitzen Türme,
Wie trotzige Schwerter höhnen sie empor zum Himmel,
Und meine Heimat dröhnt vom Haß und Groll des Tages.
Ein späterwachtes, andersblütiges Mähervolk
Greift heischend Garben, deren Saat mein Ahn besorgte,
Ein Fremdling ward ich meinem herrisch dreisten Nachbar,
Mein deutsch Gerät dünkt seinen Sohn ererbt und eigen.
Ich sollt' ein Kämpfer sein. Mit dröhnendem Gesange
Sollt' ich vor meinem Volke gehn, ein Kampfbefeurer,
Oder Satiren singen: denn die reifere Bildung
Befreit sich lächelnd von dem bittern Grimm des Herzens.
Ich aber bin so tiefst im sichern Herzen deutsch,
Als stünde mein Häuschen irgendwo am grünen Rhein
Oder am sanften Hang des tannendunklen Harzes;
Und so, ein Träumer, geb' ich zu, sing ich mein Lied,
Das heimatlos und doch so voll der Heimat ist,
Wie ein Auswandrerschiff am schweigsamdunklen Abend...


II

Daure, mein tönendes Lied, daure in Ewigkeit;
Meiner Seele Gefäß, nein, meine Seele du,
Wirst du unsterblich sein, weil sie unsterblich ist!
Ach, ein rauherer Sturm mag dich verwehn, mein Lied,
Wie ein Vöglein: du kehrst doch mit dem Lenz zurück.
Dann umkreisest du wohl flatternd den stolzen Hradschin
Oder suchst dir das Haus, das deine Schwingen gelöst.
Grüß' die Enkel, mein Lied, grüß' mit vertrautem Wort,
Grüß' mit deutschem Gesang stolz dann das späteste Prag!
Daure, mein tönendes Lied! Sieh, wie ein Segensspruch
Sei den Deutschen in Prag, daure, mein Lied, wie sie!
Weh, was sing' ich? Stirb, stirb, vergängliches Lied,
Sei ein Seufzer, verhaucht in die fühllose Luft!
Weißt du nicht, wie Horaz einst seinem ehernen Lied
Ewige Dauer verhieß, trotzend der Zeiten Flucht?
"Nicht ganz werd' ich vergehn," sang sein frevelndes Lied,
"Dauern wird es so lang, als mit der schweigenden
Jungfrau zum Kapitol schreitet der Pontifex!"
Ach, bevor noch der Hauch starb, den sein Lied geweckt,
Eh' die Tinte sich sog in seines Buches Blatt,
Endet den festlichen Gang Junfrau und Pontifex,
Und ein anderer Gott schützt das erwählte Rom!
So ward zum Fluch sein Lied! Drum, so vergeh, mein Lied,
Sei verflucht und verweh'! Aber mit neuer Kraft,
Deutsch und stärker, erwach' in eines Enkels Brust!


III

Zwischen den alten Palästen Prags, ein träumender Enkel,
Wandl' ich sinnend dahin, Auge und Seele erregt;
Ach, das Auge entzückt die Größe vergangener Tage,
Ach, die Seele bewegt schmerzlich der niedrige Tag.
Und die Paläste, die Zeugen vergangenen bunteren Lebens,
Schaun mit ernstem Gesicht auf den Enkel herab.
Hallt nicht dröhnender Hufschlag daher durch die gieblige Gasse?
Schallt nicht lustig vom Turm schmetternd Fanfarengetön?
Sieh' in den Erkern die Schönen! Sie beugen sich weit aus den Fenstern,
Kühn zum stolzen Turnier reitet der König daher;
Hundert Ritter umdrängen sein Roß, wie leuchtet der Harnisch!
Aber noch leuchtender blitzt aus den Visieren der Blick! -
Zwischen den alten Palästen Prags, ein träumender Enkel,
Wandl' ich sinnend dahin, tief in der Seele erregt.
An den Farben der Träume berauscht sich das Auge des Dichters,
Ach, in ein graues Gespinnst webt ihre Uhr jetzt die Zeit!
Welch ein Glanz war einst in den volksdurchjubelten Gassen!
Jetzt - - - da weck' ich mich rauh: Seele, so wache doch auf!
Sei doch ehrlich, mein Herz, erwehr' dich des Zaubers der Träume!
Nicht des Lyrikers Herz, Herz des Menschen, sprich du!
Wahrlich, nicht sehnst du dich längst nach all dem verblichenen Glanze,
Deine Träume belebt klar ein beglückteres Ziel:
Nimmer erscheine der Glanz vergangener Größe! Doch leuchtend
Schaue der kommende Tag auf ein verjüngtes Geschlecht!
Ruhe der Völker Streit! Verstumme der Hader des Tages!
Auf den Zinnen der Zeit leuchte der Bildung Panier!
Sieh', schon öffnen sich weit die Tore der alten Paläste,
Aber ein freies Geschlecht freut sich des leuchtenden Tags;
Sonne in allen Palästen und Licht in Köpfen und Herzen,
Und von der drängenden Zeit Türen und Tore gesprengt!
Dann von den Erkern grüßt wie einstens das Auge der Liebe,
Und zur Arbeit des Tags schreitet gesegnet der Mann ...


  Hugo Salus . 1866 - 1929






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