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Hugo Salus
Ernte
. 1. Auflage 1903
Spinne Eifer
Eh der alte Mann auf Reisen ging,
Fragt er erst die Hexe Siebenschlau:
"Schau, mein Weib ist so ein junges Ding,
Ach, und ich bin alt und schwach und grau,
Wer bewahrt mir meine junge Frau?"
Sprach die Hexe: "Nimm die Spinne hier;
Spinnt dein Weib in dichte Netze ein.
Spinne Eifer ist ein kluges Tier!
Wird dein Weib von ihr umsponnen sein,
Bleibt ihr Herz und bleibt dein Bette rein!"
Kam der Alte heim zum jungen Weib,
Setzt die Spinne Eifer ihr ins Bett.
Huh, das kribbelt auf dem nackten Leib!
Und sie sucht im reingewohnten Bett,
Welch Geziefer solche Keckheit hätt'!
Und die Spinne Eifer spann und spann,
Einen Schleier erst vor ihr Gesicht,
Um das Hälslein, um die Brüstlein dann,
Sieben Netze, eng und fest und dicht,
Und vergaß auch Schoß und Hüften nicht.
Alterchen sah zu und freute sich:
"Brav, mein Tierchen, hast es brav gemacht!
Lebe wohl, mein Schatz, und denk an mich,
Gib mir gut auf Tor und Truhe acht,
Denk an deinen Mann bei Tag und Nacht!"
Alter ging. Der schlanke Buhle kam:
"Ganz in Schleiern? Welch ein Brautgewand!
Deine Wange glüht in holder Scham?
Weh, mit diesen Spitzen aus Brabant
Hat er wohl dein Herz mir abgewandt!"
Er umarmt sie; ach, wie brennt sein Kuß,
Brennt sich tief in ihr Gespinnst hinein,
Und die Schleier schüren den Genuß.
"Du bist mein." - "Du Wilder, ewig dein!"
Spinne Eifer zieht die Beine ein.
Blieb kein Faden heil. Da klopft's ans Tor.
Alterchen kehrt um. Du arme Frau!
Aber Spinne Eifer schießt hervor:
Surre, schnurre! Alles, wie zuvor.
O, du kluge Hexe Siebenschlau!
Hugo
Salus . 1866 - 1929
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