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Hugo Salus
Gedichte
. 1. Auflage 1898
Das Pfeifchen
Ein heißer Sommertag; der Himmel blau,
Das Schulgemach voll goldner Sonnenstrahlen;
Ich träum' vom kühlen Bach, von Wald und Au'
Und schreib' dabei mechanisch meine Zahlen.
Mein kleines Knabenherz erhält sich wach,
Indes die Hand mißmutig Zahlen kritzelt:
Früh war ich baden; dann hab' ich beim Bach
Ein Pfeiflein mir aus Weidenholz geschnitzelt.
Ich hab's bei mir; ich fühl's an meiner Brust.
Wenn ich jetzt straflos darnach greifen dürfte!
Gott, wenn ich einmal nur nach Herzenslust,
Ein einzigmal jetzt darauf pfeifen dürfte!
So würd' ich's nehmen; so die Lippen rund
Ums Pfeifchen legen; nein, ich thu' es nimmer!
Es lockt und lockt. Da spitzt sich schon der Mund -
Und plötzlich schrillt das pfeiflein durch das Zimmer!
...Ich hab's gebüßt. Was half's?! Jetzt, auf mein Haar
Stäubt schon das Alter seine graue Asche,
Der Bub, der ein verträumter Nichtsnutz war,
Nimmt noch sein Instrumentlein aus der Tasche...
Hugo
Salus . 1866 - 1929
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