Die ewigen Mütter

In einer Stunde, da mir das Leben
Schwerer schien als der grausame Tod,
Schrie ich aus meiner verzweifelnden Not,
Ganz meinem Kummer und Elend ergeben:

"Nie hat ein Mensch so Schweres ertragen!
Hast du zur Qual mich ins Leben geführt,
Mutter?" - Da fühlt' ich die Stirn mir berührt,
Und dies hört' ich von fernher sagen:

"Wir sind die Mütter all deiner Ahnen,
All der tausend Mütter Geist,
Die einst litten, damit du seist!
Und wir stehn hier, um dich zu mahnen!

Wir ertrugen, ohne zu schelten,
Unser Los die Jahrtausende her.
Und eine Mutter leidet mehr,
Als ihr die besten Kinder vergelten!

Schämst du dich nicht vor uns, die noch leben,
Wenn auch kein Enkel unser gedenkt,
Dann sei dir Schwächling der Tod geschenkt,
Dann wird auch uns der Frieden gegeben..."

Und es sprach eine, und ich erbebte:
"Keinem wird je so viel auferlegt,
Als ein Menschenherz Kummer erträgt!" -
Und sie entschwebten. Und sie entschwebte...


  Hugo Salus . 1866 - 1929

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