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Hugo Salus
Neue
Garben . 1. Auflage 1904
Der Trost
Oft denk' ich mir in Stunden der Verzweiflung
Mit siechen Blicken meine Schmerzen messend:
Vor fünf-, vielleicht sechshundert Jahren litt
Ein Mensch wie du das gleiche Leid der Seele,
Den gleichen Körperschmerz; und, da er litt,
Nahm er die Schmerzen sicherlich so ernst,
So wichtig, wie du jetzt die deinen nimmst,
Den Göttern fluchend und den Tod ersehnend.
Und wie du jetzt, dir selbst fast unbewußt,
Ein andrer Philoktet, den Himmel anklagst:
Kein Mensch litt je so ungeheures Leid,
Warum dies mir?! - so, mit der gleichen Stimme
Schrie, dessen später Widerhall du bist,
Schrie jener vor fünfhundert Jahren auch.
Und so, dies sag' ich mir, bist du ein Echo;
Bist du ein Echo!
Aber bist auch Stimme,
- So jauchzt es da in mir -, bist doch auch Stimme,
Daß aber nach fünfhundert Jahren etwa
Ein Mensch in wilden Stunden der Verzweiflung,
Mit siechen Blicken seine Schmerzen messend,
Sich trösten möge: "Einer litt schon so
Und schrie zum Himmel und verfluchte sich!
Und dir ward nur, so wichtig du dir scheinst,
Echo zu werden"!
Also denk' ich oft.
Philosophie? Ach nein, nur Narrenweisheit,
Doch stark genug, in Stunden der Verzweiflung
Den Schmerz vom angemaßten Thron zu jagen,
Daß ich mit kaltem Blick ihn messen kann!
Hugo
Salus . 1866 - 1929
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