162 Bücher
|
Hugo Salus
Neue
Gedichte . 1. Auflage 1899
Auf der Höhe
Und endlich nach heißer Mühe und Schweiß
Waren wir über dem ewigen Eis
Auf grauem Felsen. Die Arme weit
Öffneten wir der Unendlichkeit.
Da war ein Jauchzen in unseren Seelen
Und füllte die schwer eratmende Brust,
Die Augen gingen über vor Lust,
Und lautlos blieben unsere Kehlen.
Wir saßen lang und sprachen nicht.
Die Welt lag da und rührte sich nicht,
Da war kein rauschender Baum noch Strauch,
Kein Sturm, noch Wind und flüsternder Hauch.
Ruhe, ernst und ewig gleich;
Gethanes Werk, kein Wachsen und Werden,
Sein! Und die Gipfel der Erden
Ragend in der Gestirne Bereich ...
Wir brachen auf. Da fiel mein Blick
Auf eine Marmortafel zurück,
Die hatte einer heraufgetragen,
In der Nähe des Himmels sein Sprüchlein zu sagen:
"Wer hier mit bangem Schauern und Grauen
Nicht Gott, den Schöpfer der Welt, erkennt
Und fromm nicht aufblickt zum Firmament,
Der war nicht wert, sein Werk zu beschauen!"
Darunter auf den breiten Rand
Der Tafel war von fleißiger Hand
Ein zweiter Spruch in den Marmor geschlagen,
Dem Frommen gehörig die Wahrheit zu sagen:
"Wer hier in der Ewigkeit Nähe gestanden
Und sah ins Auge der großen Natur,
Und wandelt noch immer in Gottes Spur,
Der steige herab, im Staube zu landen!"
Den frommen und den frechen Spruch,
Den Glaubenssegen und kühnen Fluch,
Dies Zeichen, daß Menschen hier oben gewesen,
Mußt' ich lächelnd noch einmal lesen:
Die Hoffnung des Einen, den Himmel zu erben
Durch seines Glaubens freudigen Mut,
Und dann des Andern eifernde Glut
Dem Frommen die Freude zu verderben!
Doch, als ich dann rings die Gipfel sah,
Ein schöner Zorn übermannte mich da:
Mein Eisbeil that einen wuchtigen Schlag,
Daß die Tafel in hundert Trümmern lag.
Dann jauchzte ich auf und schaute wieder
Und wieder ringsum und weit ins Land
Und füllte die Seele bis an den Rand.
Dann stiegen wir langsam zum Thal hernieder.
Hugo
Salus . 1866 - 1929
|
|