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Hugo Salus
Neue
Gedichte . 1. Auflage 1899
Der schöne Knabe
Freund, gieb acht auf deinen holden Knaben;
Er ist schlank und schön wie Raphael,
Und der Frauen streichelnd weiche Blicke
Wecken bald in ihm die Leidenschaften
Also, daß ihm seine Schönheit schadet.
Lächle nicht! Ich hab' ihn heut' beachtet,
Als wir nach dem Mahle uns ergötzten,
Und in hocherhobner Silberschale
Deine schöne Magd die Früchte brachte;
Sie ist stolz von Wuchs und voll erblühend,
Und auf ihren Wangen kämpft das Rot
Mit dem weichen Weiß des jungen Halses.
Und mein Malerauge freute sich
An der schönen Linie ihres Busens
Und den Säulen ihrer runden Arme,
So die volle Früchteschale trugen.
"Sie ist herrlich, wie Herodias"
Rief ich aus: da streift' mein Blick den Knaben,
Der verträumt auf ihre Schönheit starrte;
Nun bemerkt er meinen schnellen Blick,
Seine Lider senkt er, wie ertappt,
Seine bleichen Wangen glühten auf,
Und zwei Thränen rollten still hernieder.
Er verließ den Saal. Du merktest nichts:
Freund, gieb acht auf deinen holden Knaben!
Hugo
Salus . 1866 - 1929
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