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Gedichte, Lyrik, Poesie

Neue Gedichte
162 Bücher



Hugo Salus
Neue Gedichte . 1. Auflage 1899



Der Schüler

        Faust
        Mephisto
        Der Schüler
        Die Sünde

            Fausts Studierstube

(Faust und Mephisto sind eben eingetreten. Mephisto hat
noch eine Art Reisemantel um.)

            Mephisto:

Ihr habt befohlen; aus des Lebens Braus
Gelüstet's euch zu fliehn: seid wieder denn zu Haus!
Ich kenne das! Ihr seid ein deutscher Mann,
Der ohne Zimmerluft nicht leben kann.
Und hast du noch so heiß nach Leben dich gesehnt,
Hast nach der Welt die Arme überdehnt:
Kaum leuchtet dir der Sonne warmer Schimmer,
Wirst du elegisch und - verlangst dein Zimmer!

            Faust:

Schweig still! Der du die Welt durchstreifst
Und ohne Heimat durch die Lande schweifst,
Ein Teufel, der du bist, verstehst du nie
Der Klause heimlich reine Poesie!

            Mephisto:

Die Poesie der Flöhe, Schaben, Wanzen!
Doch, da ihr pfeift, was nützt's, so muß ich tanzen.

            Faust:

Du sollst nicht über harte Herrschaft klagen,
Kein unzufried'ner Diener sein:
Will dir's in meinem Zimmer nicht behagen,
Geh deinen Wünschen nach! Laß mich allein.

            Mephisto:

Ihr schickt mich fort; nun gut, so will ich gehn.
Nun raunzt euch lyrisch aus; es dauert, wie ich hoffe,
Nicht überlang. (Singend): Es giebt ein Wiedersehn.
(Zur Thüre, die auf den finstern Gang führt. Beim
Öffnen stößt er mit dem Schüler zusammen.)
Zum Teufel auch, ihr seid aus gutem Stoffe!

            Schüler (draußen):

Ich wollte mir erlauben ...

            Mephisto:

Das habt ihr ja, ich spür's.

            Schüler (bescheiden):

Ich war schon einmal hier.

            Mephisto:

Jetzt kenn' ich euch. Seid ihr's!
Weilt einen Augenblick, ich will euch melden.
(Schließt die Thüre, der Schüler bleibt auf dem Gange.)

            Mephisto (zu Faust):

Ich bring' euch jenen Mutterschürzenhelden,
An dem ich einmal schon magistrum Faust vertrat.
Ich bitte euch, folgt meinem Rat:
Von eurem Mißmut euch zu heilen,
Sollt ihr im Zimmer hier verweilen,
Indes mein Geist, höchst witzig und gelehrt,
Dem Knaben eine Audienz gewährt.
Ihr wißt gar nicht, wie wohl's selbst einem Teufel thut,
Vor einem Publikum recht geistreich sein zu können,
Und heut' ist meine Stimmung ganz besonders gut.
Ich fühl' in meinem Kopfe eine Hölle brennen.

            Faust:

Du eitler Narr! Stultitia und Stolz
Wächst nicht nur sprachlich auf demselben Holz!

            Mephisto:

Nicht schlecht. Doch kommt drum Witz noch nicht von vitium!
Beenden wir dies kluge exercitium!
Gebt euren Rock und nehmt dafür den meinen.
Wer etwas ist, muß auch was rechtes scheinen.
(Sie tauschen die Röcke.)

            Mephisto (karikierend):

Nun, lieber Famulus, nun öffne ihm die Thür.
(Schüler tritt ein und verbeugt sich tief.)

            Mephisto:

Was führt euch heute wieder her zu mir?
Habt ihr euch meinen Rat gedeihen lassen?
            Schüler:

Ich sah mich um in allen Weisheitsklassen,
Doch wollte nirgends Freude mir erblühn.
Zum Schluß versucht ich's mit der Medizin.
(Treuherzig): Von euren Sprüchen hat mir der vor allen
Über den Geist der Medizin gefallen.

            Mephisto:

Ah, ich versteh. (Der Schüler sieht Faust und wird verlegen.)
Braucht euch nicht zu genieren.
's ist nur mein Famulus; der thut euch nichts zu Leid.
Benütztet ihr auch gut die kurze Zeit?

            Schüler:

Ich fing ja eben an erst zu studieren.
Ich habe ganz nach eurem Rat gethan,
Ich fing die Pülslein erst zu drücken an,
Versuchte dann recht tief ins Aug' zu schauen -

            Mephisto (rasch, ironisch):

Den kranken Männern?

            Schüler:

Nein, den kranken Frauen!
Mit Männern hab' ich mich nicht abgegeben,
Wollt' ganz genau nach eurem Rate leben.
Nun aber merk' ich, recht im Herzen bang,
Die Medizin macht mich gar müd' und krank,
Ich kann nicht schlafen mehr, bin matt und bleich.
Drum komm' ich ratsbedürftig her zu euch.

            Mephisto:

Ein intressanter Fall! Ein männlich Frauenleiden!
Nur, um es ganz genau zu unterscheiden,
Mußt du jetzt ohne Prahlen, ohne Mildern
Mir die Symptome deiner Krankheit schildern.

            Schüler:

Es faßt mich an, wie ich was Weibliches erschau,
Sei es ein Mädchen, eine junge Frau;
Es drängt mich hin zu ihr und stößt mich dennoch weg,
Ich möchte fliehn und kann doch nicht vom Fleck;
Ich möcht' ihr tief ins dunkle Auge blicken,
Sie warm umfangen, recht ans Herze drücken,
Von ihrem Mund, von ihren lieben Augen
Gesundung mir und rotes Leben saugen,
An ihrem Leib, dem jungen, lebenswarmen,
In ihren vollen, lilienweißen Armen
Die Bitternis des Lebens ganz vergessen,
Mich um mein armes, junges Leben pressen,
Und all die Leiden, all die tiefen Schmerzen
An ihrer Brust mir aus dem Leibe herzen ...

            Mephisto:

So, Herzen, Schmerzen! D'rauf hab ich gewartet.
(Spöttisch besorgt): Das Leiden ist sehr sonderbar geartet!

            Faust (beiseite):

Der arme Junge! Wie er fiebernd glüht!

            Schüler (in tiefer Erregung):

Werf ich mich Nachts von banger Sehnsucht müd,
Aufs Lager hin, beginnt das Leid aufs neue.
Der Schlaf, auf den ich abgehetzt mich freue,
Bringt mir im Traum ein ganzes Heer von Frauen,
Feen und Megären, gräßlich anzuschauen;
Sie wirbeln mir vorbei mit nackten Hüften,
Umgaukeln mich in dunstig heißen Lüften,
Sie drängen buhlend sich in meine Nähe
Und pressen sich an meine schwere Brust,
Daß ich vor Sehnsucht und verhaltner Lust
Zu sterben glaube und vor Schmerz vergehe.
O, fänd ich eine nur, um sie zu lieben!
So aber, in der Sinne wilden Trieben
Fehlt mir der milden Neigung heilige Reinheit,
Und, ach, mein Herz verblutet in Gemeinheit!
O, fänd ich eine nur! Wie wär ich treu!

            Mephisto (wegwerfend):

Bah, diese Schwüre sind mir nimmer neu!
Was ihr, bewundrungheischend, Treue nennt,
Ist doch nur Mangel an Temperament,
Ein Bauch, der, überfüttert, schlecht verdaut,
Ein zahnlos Maul, das alte Krümel kaut!

            Schüler (wie oben):

Nach Liebe sehn' ich mich, nach heißen Flammen!
Indessen brennt mein armer Leib zusammen.
O, Meister, heilet mich!

            Faust (ergriffen):

Der arme, arme Wicht!

            Mephisto:

Die Heilung ist so einfach wahrlich nicht,
Doch will ich, was ich weiß, an dir versuchen.
Erste Bedingung: anamnesin buchen!
(Winkt Faust, zu schreiben. Dieser schlägt einen Folianten auf und notiert.)

            Mephisto (zum Schüler):

Dein Alter?

            Schüler:

Achtzehn Jahr.

            Mephisto:

Sehr jung, bei meiner Ehr!
Und warst du wirklich keusch und rein bisher?

            Schüler:

Wie meint ihr das?

            Mephisto (streng):

Hast du in sündiger Lust
Jemals ein Weib gedrückt an deine Brust?

            Schüler (erschrocken):

Was fällt euch ein? Noch nie! (Zögernd.)
Doch darf ich's offen sagen,
Ich hätt's gethan, hätt' nicht der Mut gefehlt,
Das Ungeheuere so leichten Sinns zu wagen.

            Mephisto (jesuitisch):

Dies Mittel wäre auch durchaus verfehlt!
Man heilt die Sünde nicht durch neue Sünden!
Ich werde dir den Weg zur Heilung künden.
Du hast bisher, durch Sinnenlust umnachtet,
(bedeutend):
Zu wenig - deines Pulses Zahl beachtet!
(Fühlt seinen Puls):
Dein Blut ist viel zu heiß! Allein durch deinen Willen
Kannst du das Kochen deines Blutes stillen:
(Mit überlegener Ironie):
Der tiefe Kern der menschlichen Moral
Liegt in des Pulses überwachter Zahl!

            Faust (aufmerksam):

Was will er nur?

            Mephisto:

Gieb acht! fürder dein ganzes Leben
Sollst du wohl Acht auf deine Pulszahl geben!
Wenn immer dich der Taumel fassen mag,
Beachte wohl des Herzens Wellenschlag!
Indem du es beachtest, sänftigt sich dein Blut,
Wenn du sie kritisierst, wird deine Sitte gut!

            Faust (für sich):

O teuflisch kluger Rat! (Laut): O, welch ein feiner Kopf!

            Mephisto:

Du hältst, sinnbildlich, stets dein Herz beim Schopf
Und hemmst es, schäumend mit dir durchzugehen.
Wirst du von fern die Sünde winken sehen,
Beginnt dein Herz, ein junges, wildes Füllen,
Erregt zu tänzeln, in den Zaum zu schäumen
Und heischend gegen deinen Zügel sich zu bäumen,
Wirst du, es bändigend, dein Sehnen stillen.
(Mit großem Nachdruck):
Kritik hemmt jede Stimmung!

            Faust (beiseite):

Kritik hemmt den Genuß!
O, unglückselig, wer der Neigung Keime,
Wer seiner Phantasie goldglänzend heitre Träume
Stets mit dem kalten Strahl des Geists verscheuchen muß!

            Mephisto (mit erhobener Stimme):

Zur herrlichsten Moral, zur wahren Ethik
Führt dich allein des Herzens Arithmetik!

            Schüler (verwirrt):

Du großer Arzt, so werd' ich wieder heil!

            Faust (wie oben):

Verzichtend auf des Daseins bestes Teil:
Auf den Genuß, mehr, auf die Phantasie!

            Schüler:

O Meister, deinen Rat vergeß ich nie.

            Mephisto:

Und wirst dabei fürwahr am besten fahren.
Ein Knabe noch mit wirren Lockenhaaren,
Bist du nun klüger, wie so mancher Greis!

            Faust (immer beiseite):

Nur daß dein Blut gerinnt zu starrem Eis.

            Schüler:

Lebt wohl und tausend Dank!

            Mephisto:

Verweile noch, bleib hier.
Du brauchst, zu des Erfolges Vorbereitung
Noch meiner Aufsicht, meiner weisen Leitung.
Zur Prüfung ruf' ich her - die Sünde dir!
(Zu Faust tretend, leise):
Nun sollst du sehn, wie ich den Fisch zum Spaße
Am Sündenköder prächtig zappeln lasse.
(Zum Schüler):
Merk' auf den tiefen Sinn und gieb fein acht.
(Beschwörend, mit seltsamen Gebärden):
Teilt euch, ihr träumenden Wolken der Nacht,
Der Stern der Liebe ist entfacht.
Dein Busen leuchtet, dein Auge lacht,
(Nebel senken sich von der Decke nieder.)
Ich, ich beuge mich deiner Macht.
Tugend ist Sünde, Sünde ist Recht:
Ich bin dein Herr, ich bin dein Knecht!
(Die Wolken teilen sich. Ein herrliches, lockendes Weib,
eine zärtlich klingende Leier in der Hand,
löst sich aus den Wolken. Der Schüler starrt mit großen
Augen auf die Erscheinung.)

            Schüler (in atemloser Erregung):

Du göttliches Weib, du lockender Leib!

            Mephisto:

Denke des Rates! Stehe, bleib!
(Hält den kämpfenden Schüler am Arme, drohend):
Beim Heil deiner Seele!
Zähle, zähle!
            Schüler

(greift, fast unbewußt, einen Augenblick an sein Herz):

Mein Herzblut lodert, die Flamme loht!
(Außer sich): Ich komme zu dir!
(Er ringt mit Mephisto. Diesem fällt der Mantel von den
Schultern, er steht in seiner wahren Gestalt da.)

            Mephisto (furchtbar);

Bedenk' das Gebot!
(Der Schüler reißt sich los. Er stürzt auf die Sünde zu.
Diese wirft die Leier weg und schließt ihn jauchzend
in die Arme.
Faust, mitgerissen, will ihm nach. Der Knabe hält die Sünde
mit einem Arme umfangen, der andere macht eine jubelnde
Bewegung des Sieges; sie stürzen davon.)

            Faust

(kommt zu sich, dann freudig):

Das Leben siegt!

            Mephisto

(ist besiegt auf den Sessel niedergesunken.
Dann erhebt er sich. Mit großer Kraft):

Es siegt der Tod!


  Hugo Salus . 1866 - 1929






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