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Hugo Salus
Neue
Gedichte . 1. Auflage 1899
Einem Unmodernen
Epistel.
Ja du, mit deiner Bildnerkunst,
Du greifst hinein in des Vergangnen Dunst,
Du schließt die Hand: da steckt schon einer drinnen,
Ein Kerl von Stahl, mit heldenhaften Sinnen!
Du stellst ihn vor uns hin, wie du ihn g'rad' erwischt;
Da ist nichts für die Jetztzeit aufgefrischt,
Er flucht und spuckt und liebt und haßt und betet,
Wie ihn die Zeit und seine Lust geknetet,
Wie ihn das Leben, nicht die Kunst ersann!
Der Bursch' hat seine eignen Hosen an.
Und wollt' er uns, den Lesern, nicht behagen,
Er wär' im Stand, noch aus dem Buch nach uns zu schlagen.
Und immer, eh' ich dich gekannt,
Eh' eine milde Freundschaft uns verband,
Dacht' ich: Wie glücklich muß der sein,
Der solche prächtige Menschen sucht und findet,
Mit Tinte sie berauscht, in Verse bindet,
Sie in Romane zwingt und Reimerei'n,
Der sich, indem er immer rückwärts blickt,
Der platten Nüchternheit der Gegenwart entrückt,
Der nicht die Venus vagans auf den Gassen,
Um Stoffe bettelnd, muß am Ärmel fassen,
Weil ihm der Sinn für das Vergangene mangelt,
Und er am Strom des Tages nach Motiven angelt.
So dacht' ich stets, gesteh' ich's nur, mit Neid!
Nun kenn' ich dich und weiß, dein ganzes Sinnen
Träumt nur, den alten Zeiten zu entrinnen,
Kenn' deiner Sehnsucht zehrend tiefes Leid,
Mit Büchern, drin Lokomotiven gellen,
Auf dem modernen Markt dich einzustellen,
Weiß, wie verfehlt dir scheint dein Künstlerstreben,
Und wie du hassest deine Phantasie
Und mit ihr ringst, weil eigensinnig sie
Nur unter Rümpelwerk vermag zu leben!
Mir, lieber Freund, ward Eines klar daraus:
Die Kunst lebt sich nie aus im eignen Haus,
Und was sie atmet, scheint ihr Rauch und Dunst!
Das, was sie kann, ist stets das Falsche, Nichtige,
Das, was der Nachbar schafft, das ist das Richtige:
Die Sehnsucht nach dem Andern - ist die Kunst!
Hugo
Salus . 1866 - 1929
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