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Gedichte, Lyrik, Poesie

Neue Gedichte
162 Bücher



Hugo Salus
Neue Gedichte . 1. Auflage 1899



Frühling

        Phaon, ein 19 jähriger Jüngling.
        Leander, etwas jünger, keck und beweglich.
        Charis, ein 17 jähriges Mädchen.

Sonnige Waldlichtung, zu der von rechts ein schmaler Waldweg
zwischen großen, dichtbelaubten Bäumen führt. Links
Erlengebüsch, das nach dem Hintergrunde zu verläuft und
einen Bach einsäumt. Aus der Ferne das Plätschern eines
kleinen Wasserfalls. Moosbewachsene Steine. Heitere,
sonnige Waldstimmung.

Phaon und Leander treten auf;
sie kommen von rechts, vom Waldwege.

            Phaon:

Nein, Freundchen, nein! Nun folg' ich dir nicht weiter!
Du machst dir, merk' ich, einen guten Tag
Aus meiner Liebesnot und Herzensqual.
Wenn du mich lieb hast, schwör', daß du nicht lügst,
Daß Charis diesen Weg zum Walde nahm,
Daß ich, errötend, hier sie treffen werde.

            Leander (lachend):

Hier ist ein Fingerpaar, das andre hier,
Zum heiligen Schwur bereit. Genügt dirs nicht,
Will ich mich auf die Erde vor dir werfen
Und mit gestreckten Zehn den Schwur bekräftigen!
Bei Kleons Weinberg traf ich deine Charis,
Ich bot ihr freundlich meinen Morgengruß
Und, freundlich lachend und die Zähnchen weisend,
Gab sie den Gruß zurück; ja, lieber Phaon,
Sie wandte dreimal, schreitend, noch ihr Köpfchen
Nach mir zurück, eh' sie im Hain verschwand.

            Phaon:

Dran seh' ich, wie du lügst!

            Leander:

Sie sah zurück,
Zu schaun, warum bei Castor Pollux fehle:
Nach mir das Köpfchen wendend, sucht' sie dich!

            Phaon:

Ach, Possen! Sprich doch ernst, du Taugenichts!
Du folgtest ihr?

            Leander:

Von weitem schlich ich nach,
Mich hinter Bäumen deckend, bis ich sah,
Daß sie auf diesen Pfad die Schritte lenkte.

Ich lief zurück, was mich die Füße trugen;
Ich fand dich, Verse schmiedend, riß dich mit -
Nun schmähe mir noch einmal deinen Freund!

            Phaon:

Leanderchen, du lieber, guter Junge!
Sei mir nicht gram!
(Leander umarmend, der sich, verschmitzt lächelnd, ziert.)
Du weißt, ich bin verwirrt
Vor Liebe, vor verliebter, närrischer Liebe.
Mein Tag ist Charis, Charis meine Nacht.
Ein Blick von ihr erregt und sänftigt mich
Und läßt mich bis ins tiefste Herz erbeben.
Sie öffnet mir des Nachts die müden Lider
Mit weichen Fingern, und ich seh' sie leuchtend
Durch meine Träume wandeln; meine Brust
Ist voll von Liedern, die das Herz bedrängen.
Die Lippen stammeln nur den einen Namen,
Und, treff' ich sie, verstummt mein armer Mund.
O, du bist glücklich: du bist keck und munter,
Die Mädchen lieben dich, weil du sie neckst,
Indes ich trüb' in deinem Schatten wandle,
Verzweifelnd, wenn mich ihre Blicke treffen,
Lacht sie mich an, (seufzend) lacht sie vielleicht mich aus!
Heut' aber, hier will ich den Weg ihr kreuzen,
Was mich bewegt im tiefsten Grund des Herzens
Will ich ihr sagen, und, erhört sie mich,
Dann sollst du sehn, wie heiter Phaon ist!

            Leander:

So laß ich dich mit ihr allein, mein Lieber;
Und lebe wohl!

            Phaon (erschrocken):

Was fällt dir ein, bleib' hier!
Was sag' ich ihr, wenn sie nun plötzlich kommt?
Womit entschuldig' ich, daß ich ihr folgte?

            Leander:

Was du ihr sagst? Ei, was dich so bewegt
Im tiefsten Grunde des verliebten Herzens,
Dein Tag ist Charis, Charis deine Nacht ....

            Phaon:

Geh' nicht von mir, sag' du es ihr für mich!

            Leander:

Und hört sie mich, - küss' ich sie auch für dich!
Schau, hier ist's schön und schattig, laß uns sitzen!
(Sie setzen sich auf einen breiten, mit Moos überwachsenen
Stein unter den alten Bäumen rechts.)

            Phaon:

Sehr gern; ich bin ganz müde vor Erregung.
Sprich, sah sie huldreich aus an diesem Morgen?
(Leander macht zu allen Fragen übertriebene
Zustimmungsbewegungen.)
Denn, (warm) daß sie schön war, weiß ich ohne dich!
War stolz gerümpft ihr Näschen? Mild die Augen?
Die Brau'n geschwungen oder sanft verlaufend?
Wie schritt sie hin? Weißt du, sie hat zwei Arten
Dahinzuwandeln: einen stolzen Schritt,
Wie Juno wandelt in der Götter Kreise,
Und eine tänzelnd, neckisch liebe Art,
Der Saum des Kleids umschmeichelt hüpfend sie
In Wellenlinien, wie flinke Schlangen.

            Leander:

Was du nicht sagst? (Wie in höchster Bewunderung.)
Zwei Arten Schritts hat sie!
(Aufspringend, komisch imitierend.)
Der eine stolze so; und einer neckisch,
(Mit den Händen den Saum seines kurzen Gewandes bewegend.)
Der Saum des Kleids umschmeichelt hüpfend sie.
(Wichtig.) Mir scheint heut' ging sie in der zweiten Gangart,
Da ich sie traf. (Wieder sitzend.) Die Augen lachten schelmisch,
Das Näschen guckte lustig in die Welt,
Die Lippen rot, wie Kirschen auf dem Baume,
Das Fähnchen ihres Haars ..

            Phaon (entzückt):

Des goldenen Haars!

            Leander:

Es wippte, wie ein Vöglein mit dem Schweife.
So schwand sie, wie ein Traum, im grünen Wald,
Höchst appetitlich, sauber, schmuck und zierlich!

            Phaon:

Wo aber, meinst du, wandelte sie hin?

            Leander:

Wohin? Ei nun, wohin! Wer weiß, wohin!
Lustwandelnd ging sie hin, der Kühle nach.
Vielleicht zu einem Stelldichein. Wer weiß?

            Phaon (aufspringend):

Mit wem? Du weiß etwas, du birgst es mir!

            Leander (zwingt ihn wieder auf den Stein):

Erschrick nicht, Narr! Zu keinem Stelldichein!
Sie ging (nachdenkend), sie ging (sich an die Stirn schlagend),
natürlich weiß ich es,
(Einem plötzlichen Einfalle folgend, rasch.)
Sie ging ins Bad zum kleinen Wasserfall!
Hörst du ihn plätschern? Hab' ich doch erfahren,
Daß dort des Morgens oft die Mädchen baden.
Kaum zwanzig Schritte ist's von hier!

            Phaon:

Ins Bad!
Sie badet zwanzig Schritte weit von hier!
(Ist aufgesprungen und zwingt Leander vom Stein weg.)
So komm, komm fort, komm eiligst fort nach Haus!

            Leander:

Wozu die Flucht!

            Phaon:

Bedenk's doch, Unglücksmensch,
Wenn sie vom Bade kommt und trifft uns hier!

            Leander (ruhig):

Nichts Hübscheres, als Mädchen nach dem Bade!
Es ist, als ob von ihrem weißen Leibe
In leisen Wellen Kühlung käm' und Frische;
Im Haare schimmern noch vergessne Perlen
Der klaren Flut; der Wangen Pfirsiche
Sind rot behaucht; der junge, kühle Busen
Bebt noch vom leichten Schauer, daß zu stürmisch
Die Wellen ihn umkost. Wozu die Flucht?

            Phaon:

Leander, wenn sie hier uns überrascht!
Und glauben müßte, daß wir sie belauscht!
Die Erlenzweige auseinanderbiegend,
Daß wir, wie Faune, ihren Wuchs bestaunt!
Sie müßte in die Erde gleich versinken
Vor Scham und Zorn, und ich, ich sänk' ihr nach!

            Leander:

Das glaub' ich gern!

            Phaon:

Drum bitt' ich dich, komm weg!

            Leander:

Ich nehme dich nicht ernst, mein lieber Phaon!
Spricht so ein Mensch, der heiß ein Mädchen liebt?
(Zeigend.)
Hier badet Charis! Phaon, ihr Verehrer,
Steht hier! hier fließt der muntre Bach vorbei
Noch warm von ihrem Leib. Die Wellen murmeln
Vor Glück und Jubel, weil sie ihn umschmeichelt.
Und Phaon, toll von Liebe, stürzt nicht hin,
Und netzt im heiligen Wasser Stirn und Mund,
Trinkt eifersüchtig nicht das Bächlein leer?
Ist das die Möglichkeit? Bist du aus Stein?
Du liebst sie nicht!
            Phaon:

Du machst mich toll, Leander!

            Leander:

Ach Phaon toll! Der Schläfer Phaon toll!
(Während des Folgenden nähert er sich immer mehr dem Gebüsch, das die Aussicht auf den Wasserfall verdeckt.)
Wär' ich verliebt in Charis, schwör' ich dir,
Mich hielte nichts zurück, ich müßt' sie sehn.
Wie oft, gesteh's, sahst du im Traum sie - so,
Und sahst mit Freuden sie und süß erschauernd!
Mich hielte keine Macht der Welt zurück!
(Ist bei dem Gebüsch angelangt und will es auseinanderbiegen.)

            Phaon (ist auf ihn losgestürzt und hält ihn am Arme zurück):

Zurück von hier, du bist mein Freund nicht mehr,
Wenn du es wagst!
(Während dieser Worte ist Charis den Waldweg herabgekommen
und bleibt, von Leander erblickt, zwischen den Bäumen,
neugierig und in kindischem Vergnügen stumme Zuschauerin.)

            Leander:

Und dennoch wag' ich es!
Was, fürchtest du vielleicht, sie sei im Bade
Nicht also schön, als du dir vorgestellt,
Und ängstigst dich vor grausamer Enttäuschung?
Bin ich dein Freund nicht mehr, so wag' ich's doppelt!

            Phaon:

So liebst du sie?

            Leander:

Gewiß, ich liebe sie ...

            Phaon:
Leander!

            Leander:

Minder nicht als alle Mädchen,
Die schön und lieblich, reizend sind und munter.
(Phaon will indessen Leander immer weiter vom
Gebüsche wegziehen, dieser wehrt ihn ab.)

            Leander:

Was hältst du mich nur also fest! Umwindest
Mit stürmisch liebevollen Armen mich?
Bin ich denn Charis, dein geliebtes Mädchen?
Ich bin dein Freund nicht mehr, so laß mich frei,
Ich muß sie sehn und sie - vergiebt es mir!

            Phaon (außer sich):

Du Frevler, Wicht, verlogner Schuft und Wüstling!
Du frecher Bursche, wart', ich zahl' dir's heim!
(Hat ihn zur Erde niedergeworfen. Einen Augenblick
liegt er auf Leander, dessen Hals umfassend.)

            Leander (lachend):

Ich bitt' dich, Feind, eh' daß du mich erwürgst,
Laß mich noch einmal lachen!
(Er macht sich mit einer flinken Bewegung frei und kniet
auf Phaon. Dann mit komischem Ernst von oben her.)
Sei gegrüßt!
Und nun, da du so willig lausch'st, vernimm!
(Hat sich durch einen schnellen Seitenblick überzeugt,
daß Charis noch horcht.)
So wahr, als Charis dort im Bade plätschert,
Liebt sie nur mich; sie ist entzückt von mir.
Sie liebt mich, weil ich sanft und schüchtern bin,
(Charis macht hinter dem Baume Bewegungen des Staunens
und komischer Verwunderung über Leanders Worte.)
Und mag dich nicht, weil du zu keck ihr folgst.
Nein, sprich nicht Phaon! Meiner harrt sie bebend,
Und dort beim Wasserfall umarm' ich sie!
(Er springt rasch auf und entweicht durch das Gebüsch.
Man hört ihn lachen und rufen.)

            Leander:

Geliebte Charis, Charis, süßes Mädchen!
(Indes ist Phaon aufgestanden; er ist wie betäubt.
Er dehnt die Glieder, fährt sich über die Stirn und macht
einige Schritte zum Gebüsch. Dann hebt er drohend den
rechten Arm. Da klingt helles, silbernes Lachen der Charis
hinter dem Baume hervor. Phaon blickt sich verwirrt um.)

            Phaon:

So lacht die Dyras den Betrognen aus!
Ja, lache nur, gefühllos kindische Göttin
Des grünen Walds. Was ist dir Menschenleid!
(Er sieht das weiße Kleid hinter dem Baume hervorschimmern.
Charis tritt hervor.)

            Phaon (in höchstem Erstaunen):

Charis! Und hier? So log Leander? Charis!

            Charis:

Was fällt dir ein? Was nennst du mich nur Charis!
Die Dyras bin ich, kindisch und gefühllos,
Nicht Charis, deines Freunds und Feinds Geliebte!

            Phaon (traurig):

So ist es wahr, du liebst Leander? Sprich!

            Charis (neckend):

Ich liebe ihn, ich bin entzückt von ihm!
Ich lieb ihn, weil er sanft und schüchtern ist,
(Wird während der nächsten Worte ernst und errötet.)
Indes du mich verfolgst.
(Bricht plötzlich in Thränen aus.)
(Die Beiden haben sich einander genähert; sie stehen
in grenzenloser Verwirrtheit und Schüchternheit bei einander.
Pause. Phaon kämpft mit sich, man merkt, wie er sich ein Herz
fassen will, um ihr etwas recht Inniges zu sagen.)

            Phaon (bittend):

Wein' nicht, o Charis!
(Er schaut sich hilflos um; dann von einem rettenden Einfall
getrieben, läuft er zum Gebüsch und ruft mit ängstlicher
und doch jubelnder Stimme):
Leanderchen! Leander, schnell, komm her!
Leanderchen!

(Der Vorhang fällt rasch.)


  Hugo Salus . 1866 - 1929






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