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Hugo Salus
Neue
Gedichte . 1. Auflage 1899
Garabella
Schau ich früh aus dem Fenster heraus,
Harrt meiner schon ein Seelenschmaus,
Der meiner Laune sonniger Retter
Bleibt beim schlechtesten Regenwetter:
Wohnt gegenüber ein Schneiderlein,
Ich seh ihm gerad in die Werkstatt hinein,
Ein kleiner aus Welschland hergereister,
Und haften gebliebener Schneidermeister.
Der erfreut mich gerade nicht,
Er hat ein Dutzendschneidergesicht,
Die italienischen schwarzen Locken
Sind vor den deutschen Winden erschrocken,
Struppig geworden und ruppig auch;
Ein Bärtlein trägt er nach Schneiderbrauch,
Gar nicht milanisch oder römisch!
Die Nase ist eher polnisch, böhmisch,
Und neidisch auf seine Äugelein
Könnte der Kaiser von China sein.
Aber der Kerl trägt einen Namen,
Den kann ich zu lesen nicht erlahmen;
Denkt Euch, der Bursch heißt Garabella,
Ich bitt Euch: Paolo Garabella!
Wie das in den Ohren klingt!
Die Schneiderwerkstatt genüber versinkt,
Blau und unergründlich schön
Seh ich Italiens Himmel erstehn:
Die Campagna dehnt sich im Sonnenschein,
Maultiere ziehen in langen Reihn,
Getrieben von Schönen mit Augen wie Kohlen;
Im Lorbeerhaine auf flüchtigen Sohlen
Tanzen Paare im bunten Gewand,
Castagnetten in der Hand;
Dort im Hintergrunde liegt Rom,
Deutlich seh ich den Petersdom,
Eine Procession kommt eben gezogen,
Welche Farben, welch buntes Wogen! -
Bin ich nicht glücklich?! Ein Schneiderlein
Mit seinem klingenden Namen allein
Läßt täglich von neuem und immer schön
Vor mir das Land meiner Träume erstehn!
Hugo
Salus . 1866 - 1929
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