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Reliquien
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Max Dauthendey
Reliquien . 3. Auflage 1913



Ich gehe durch verwirrte, lärmgefüllte Gassen
Ratlos hin, zurück, und trete in ein unbekanntes Haus.
Durch Korridore, Türen, Zimmer finde öden Weg
Und komme in den alten, hohen Büchersaal.
Still, weltfern lebte hier nur sanfter Staub,
Geistesabwesend schien das Saalgesicht.
An allen Wänden standen weiße Schränke.
Ich will die Bücher sehen,
Ich öffne von den stillen Schränken einen,
Es stehen große dunkle Herzen in Regalen,
Herzen wie Menschen groß und mumienhaft gedorrt.
Ich wußte nur noch, daß ich lesen wollte,
Ich lege mir ein Herz auf einen Tisch, und es bricht auf.
Es war verstaubtes, altes Blut darin.
Älter und stiller wurde es im Saal.
Es ist aus jenem Herzen jemand eingetreten.
Die Schränke an den Wänden stehen alle offen,
Und vor mir dichte Reihen dunkler Herzen.
Die Luft wuchs eng, unsichtbar füllen Menschen dicht den Saal.
Ich sehne mich hinaus, dort an der Türe sitzt ein Mensch, gelb und verdorrt,
Ohne Iris und Pupillen sieht er mich wartend an.
Vergrämt und einsam sieht er aus
Und war Jahrhunderte allein.
Er sieht mich wartend an mit leeren Augen.
Ich komme fast erwürgt an ihm vorbei.
Dann, als ich Haus und Straße längst verlor,
Erst weit fort, wußte ich, das war der Mensch,
Deß Herz ich brach.
Er wollte einzig eine Träne nur, und alle Herzen wollten eine Träne,
Sie alle warten seit Jahrhunderten.


  Max Dauthendey . 1867 - 1918






Gedicht: Ich gehe durch verwirrte, lärmgefüllte Gassen

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Ich gehe durch verwirrte, lärmgefüllte Gassen, Max Dauthendey