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Gedichte, Lyrik, Poesie

Weltspuk
162 Bücher



Max Dauthendey
Weltspuk . 1. Auflage 1910



Die Worte

Mein Mund, wo gingen Deine Worte hin?
Wie Stunden täglich neue Herren dingen,
Wie Vögel stets vor andern Türen singen,
Und wie der Winter mit den Schneegespenstern,
Festfrierend und hinschmelzend an den Fenstern,
Sind alle Worte warm und kalt im Sinn.
Die Worte sind ein Bild dem Raum gegeben,
Dem Raum, der ohne Dach und ohne Pforte.
Wohl kann ein Wort die Lippen überleben,
Doch bricht auch Tod die Worte wie die Rippen.

Die Worte sind wie Wolken, die nicht rasten,
Dem Windvolk gleich, zu Haus an keinem Orte.
Von Mund zu Mund müssen die Worte hasten,
Von Sinn zu Sinn, von Stund zu Stund,
Und wachsen an wie Kapital im Kasten.

Lassen von jedem Ohr sich anders fassen,
Und passen wie der Schlüsselbart ins Schloß.
Sie können wie die Farb' am Licht verblassen,
Und aufersteh'n kanns Wort, das längst schon starb.
Und manche blühen eine Nacht nur groß,
Wie Tropenblumen sich im Glashaus hüten,
Und sterben in der offnen Luft der Gassen.
Und manche sitzen grau alleingelassen,
Die leben nicht zur Schau und leben ungebeten,
Sie sind sich Last und können Dich zertreten.

O Wort, forteilend und ungreifbar Wesen,
Schlaf ich, Du wanderst draußen ohne Rast,
Schlägst Dich an Stirnen an, als starre Thesen,
Machst oft als Henker Dich ans Herz heran;
Manch Wort sitzt wie der rote Hahn am Dach
Und manches legt Dich wie ein Acker brach.
Manch eines kann Dir Glut und Wut anschüren,
Und manches Wort hat nicht zum Schlafen Mut.
Mit Worten kannst Du Leib an Leib Dich spüren.
Die Menschen sind Dir nicht so feind wie Worte,
Kein Blick verfolgt Dich so an jedem Orte.
Und wärst Du stumm und taub an beiden Ohren,
Du bist als Untertan des Worts geboren.

Mein Mund, wo gingen Deine Worte hin?
Sie wurden Völker, die jetzt mit Dir ziehn.
Wie Bienen einen Bienenkorb bewohnen,
Wie Arbeitsbienen, Königin und Drohnen,
So summen Worte lebenslang uns ein
Und werden wie der Bienensang auch nie verstummen.
Wen ließen je die Worte mal allein?


  Max Dauthendey . 1867 - 1918






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