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Max Dauthendey
Weltspuk
. 1. Auflage 1910
Flug der Vögel
Die Vögel verkörpern der Seele Traum,
Sie werfen sich frisch hinein in den Raum,
Sie folgen der Lust, unirdisch zu sein,
Und sind doch nur Erde, wie ein geworfener Stein.
Aber sie stürzen der Sehnsucht hinterdrein
Und zeigen der Freude schwunghafte Gebärde
Und sind dabei wie winzige Geigen,
Die singend im Himmel hängen
Über den getupften Wiesen und Engen
Und nur zum Sterben niedersteigen.
Der Flug der Vögel läßt Bäche stillstehen.
Wenn Vögel eilen, fließen Flüsse zurück,
Wolken müssen verweilen, keine Zeit kann vergehen.
Der Vögel Sehnsucht springt gradaus die kürzeste Brück',
Welche je ein Menschenauge gesehen.
Der Vögel Völklein verschwinden, erscheinen
Und sind überall und nirgends zu finden,
Wie die Wölklein, die sich nicht an die Wirklichkeit binden.
Die Singvögel haben niemals Zeit, wollen nie faul an der Erde liegen.
Haben sie sich müde verstiegen, sitzen sie still
Und lassen übermütige Liebeslieder fliegen.
Und steigen die Singer auf unter Lachen,
Läßt selbst ihr Schatten die Erde los,
Als verschlingt sie das Feuer, der Sonnendrachen.
Jede Lerche körperlos in ihr Lied eindringt;
Gesang geworden, wächst ihr Herzdrang ungeheuer,
Bis sie den Erdkreis der Felderrunde umschlingt.
O Mensch, nur Deine Liebesstunde von gleicher Seligkeit weiß.
Verliebt, bist Du, wie der Vogel zum Flug bereit,
Mit einem unermeßlichen Lied im Munde,
Und der kürzeste Weg durch die Luft scheint Dir dann noch weit.
Max
Dauthendey . 1867 - 1918
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